• Die psychometrischen Merkmale des OMT bestätigen die angestrebte prinzipielle Übereinstimmung mit dem TAT und einige erhoffte Verbesserungen:
o Trotz kürzerer Durchführungs- und Auswertungszeit und trotz der theoretischen Einwände gegen die Verwendung klassischer Reliabilitätskennwerte erreicht der OMT nach einigen Tagen Übung Beurteilerübereinstimmungen von .85 (nach der Formel von Winter, 1994) und im oberen und unteren Quartil der Kennwertverteilung sogar Cronbachs α über .70 (Scheffer, Kuhl & Eichstaedt, 2003): Im mittleren Verteilungsbereich sind niedrigere Konsistenzen theoretisch plausibel, weil Motive (im Unterschied zu kognitiven Fähigkeiten) untereinander konkurrieren, so dass nur bei starker oder schwacher Ausprägung mit einem konsistenten Einfluss eines Motivs gerechnet werden kann (in der Forschung wird – ganz in diesem Sinne – oft nach Unterschieden zwischen Personen mit unterschiedlichen Motivdominanzen untersucht).
o Das Validitätsspektrum des OMT reicht von den erwähnten Zusammenhängen mit impliziten Maßen für frühkindliche Entwicklungskontexte und mit Verhaltensratings (Kuhl, 2001, S. 604ff; Scheffer, 2005) bis zu den in einem späteren Abschnitt dargestellten Rolle der Diskrepanzen zwischen bewussten Zielen und impliziten Motiven bei der Entstehung psychischer Symptome (Abb. 13.5, S. 322).
o Auch die erwartete Unabhängigkeit von Fragebogenmaßen für Motive ist dokumentiert (Scheffer, 2005).
o Im Unterschied zu Fragebogenmaßen zeigt der OMT Konvergenzen mit TAT-Maßen, allerdings nur, wenn die motivspezifischen Anregungsbedingungen induziert werden (Scheffer et al., 2003; Scheffer, 2000): Dass solche Konvergenzen ohne die betreffenden Anregungsbedingungen ausbleiben, könnte darauf hinweisen, dass der TAT stärker als der OMT von den Anregungsbedingungen abhängig ist; dies ist insofern plausibel, als die TAT-Entwicklung eng mit der situativen Anregung spezifischer Motive verknüpft war.
• Die Zufriedenheit mit und die Wirksamkeit von Selbststeuerung ist nicht bei einer Form der Selbststeuerung höher als bei der anderen: Es kommt auf die Passung zwischen der vorherrschenden Stimmung, den situativen Anforderungen und der induzierten bzw. dispositionell präferierten Form der Selbststeuerung an (d. h. Selbstkontrolle oder Selbstregulation). Während die Selbstregulation besser zu positiver Stimmung passt (und dann auch besser funktioniert) und zu Situationen, in denen die eigene Wahlfreiheit betont wird (Baumann & Kuhl, 2004; Deci & Ryan, 2000), passt die Selbstkontrolle besser zu negativer Stimmung und funktioniert besser bei kontrollierenden Instruktionen (Baumann & Kuhl, 2004; Fuhrmann & Kuhl, 1998) und in Situationen, in denen Distraktoren oder Versuchungsquellen unterdrückt werden müssen (Freitas, Liberman & Higgins, 2002). Wenn Personen starken sozialen (normativen) Druck erleben, ist der Einfluss selbstregulatorischer Funktionen (wie Selbstbestimmung und umsetzungsförderliche Steuerung der Aufmerksamkeit, aber auch handlungsorientierte Stressbewältigungskompetenz) geringer, als wenn geringer normativer Druck wahrgenommen wird (Marszal-Wisniewska, 2002; Orbell, 2003).
• In diesem Kapitel standen individuelle Unterschiede in zentralen motivationalen und selbstregulatorischen Kompetenzen im Mittelpunkt. Motive lassen sich als Fähigkeiten definieren, die Befriedigung eigener Bedürfnisse mit einem über die Lebensspanne wachsenden, immer intelligenter agierenden Netzwerk von Lebenserfahrungen zu steuern. Dieses ausgedehnte Netzwerk beruht mehr auf bedürfnisrelevanten bildlichen als auf begrifflichen Vorstellungen. Es organisiert alle Lebenserfahrungen in Bezug auf ihre Relevanz für die Befriedigung von Bedürfnissen, aber auch in Bezug auf andere Aspekte eines Selbstsystems, die nicht immer unmittelbar mit der Befriedigung von Bedürfnissen zusammenhängen (z. B. individuelle und kulturelle Werte, soziale Rollen, Selbstbild und Identität). Die intelligente, sich an immer neue Kontexte anpassende Befriedigung von Bedürfnissen ist u. a. daran erkennbar, dass innere und äußere Konflikte immer wieder überwunden werden, indem z. B. zunächst widersprüchlich erscheinende Bedürfnisse (z. B. Leistung im Beruf und Affiliation in den privaten Beziehungen) miteinander vereinbart werden und auch Konflikte mit dem sozialen Umfeld (z. B. mit Bedürfnissen anderer oder mit kulturellen Erwartungen) auf kreative Weise gelöst werden. Die Modulationsannahmen der PSI-Theorie haben gezeigt, dass der zur Entwicklung motivationaler Intelligenz nötige Wachstumsprozess affektregulatorische Kompetenz erfordert: Ein Mindestmaß an liebevollen Beziehungserfahrungen scheint eine Voraussetzung für die Entwicklung einer positiven Grundstimmung zu sein, die ihrerseits die Voraussetzung dafür ist, auch schmerzhafte Erfahrungen zulassen zu können, statt sie vorschnell zu verdrängen. Nur wer negativen Affekt auszuhalten vermag, kann neue, u. U. schmerzhafte Erfahrungen so ernst nehmen, dass er aus ihnen lernen kann. Wer zusätzlich auch lernt, aus eigener Kraft (»selbstgesteuert«) wieder aus schmerzhaften Erlebnissen herauszufinden (Herabregulierung negativen Affekts), kann das ausgedehnte Netzwerk von Erfahrungen aktivieren (d. h. das Extensionsgedächtnis mit seinen Selbstanteilen und den Motiven), in das neue Erfahrungen integriert werden müssen, um ein kohärentes, wachsendes Erfahrungssystem (das »Selbst«) zu entwickeln. Erst diese Integration ansonsten unverbundener Einzelerfahrungen ermöglicht es, als »ausgereifte Persönlichkeit« zu agieren, d. h. in jeder neuen Situation alle relevanten Erfahrungen, spontan, d. h. ohne langwieriges Nachdenken verfügbar zu haben und bei den oft schnell zu treffenden Entscheidungen zu berücksichtigen.