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Kapitelübersicht

 

I Lernen, Gedächtnis und Wissenserwerb

 

Kapitel 1 – Psychologie: Eine Wissenschaft, die im Lehrberuf hilft

Kapitel 2 – Lernen und Verhalten

Kapitel 3 – Gedächtnismodelle und -prozesse

Kapitel 4 – Wissenserwerb

Kapitel 5 – Problemlösen und Expertiseerwerb

Kapitel 6 – Selbstreguliertes Lernen

Kapitel 7 – Gehirn und Lernen

Kapitel 8 – Interkulturelles Lernen

Kapitel 9 – Informelles Lernen

Kapitel 10 – Fachliches Lernen

Kapitel 11 – Lernen mit Medien

 

II Kognitive, motivationale und emotionale Bedingungen des Lernens

 

Kapitel 12 – Intelligenz, Kreativität und Begabung

Kapitel 13 – Emotionen

Kapitel 14 – Motivation

 

III Entwicklung im Kindes- und Jugendalter

 

Kapitel 15 – Modelle und Bedingungen der Entwicklung

Kapitel 16 – Psychosexuelle und soziale Entwicklung

Kapitel 17 – Kognitiv-sprachliche Entwicklung

Kapitel 18 Motivationale und emotionale Entwicklung

Kapitel 19 Entwicklung des Selbst und der Persönlichkeit

 

IV Lehren und Unterrichten

 

Kapitel 20 Lehren und Unterrichten

Kapitel 21 Unterrichtsqualität

Kapitel 22 Lehren mit Medien

Kapitel 23 Kompetenzen und berufliche Entwicklung von Lehrkräften

 

V Soziale Prozesse in Schule und Unterricht

 

Kapitel 24 Soziale Interaktion und Kommunikation

Kapitel 25 Soziale Strukturen und Prozesse

Kapitel 26 Soziale Einstellungen im Schulkontext

Kapitel 27 Heterogenität in Lehr-Lern- Kontexten

 

VI Diagnostik, Evaluation und Forschungsmethoden

 

Kapitel 28 Grundlagen und Kriterien der Diagnostik

Kapitel 29 Messen und Bewerten von Lernergebnissen

Kapitel 30 Evaluation und Qualitätssicherung

Kapitel 31 Forschungsmethoden

 

VII Lern- und Verhaltensauffälligkeiten

 

Kapitel 32 Lern- und Verhaltensstörungen

Kapitel 33 Auffälligkeiten im Erleben und im Sozialverhalten

Kapitel 34 Pädagogische Prävention und Intervention bei psychischen Auffälligkeiten im Schulalter

 

 

 

I Lernen, Gedächtnis und Wissenserwerb

 

Kapitel 1 – Psychologie: Eine Wissenschaft, die im Lehrberuf hilft

Markus Dresel, Frank Fischer und Detlef Urhahne

Psychologie ist die Wissenschaft vom menschlichen Erleben und Verhalten. Dabei meint Verhalten von außen direkt beobachtbare Aktionen und Reaktionen des Individuums, Erleben hingegen nicht direkt beobachtbare Zustände und Vorgänge innerhalb des psychischen Systems (insbesondere kognitive, motivationale und emotionale Prozesse). Im Zentrum der Psychologie steht immer der Mensch.

Die Psychologie hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eigenständige wissenschaftliche Disziplin entwickelt und liegt heute im Schnittfeld von Natur- und Sozialwissenschaften. Die präzise Formulierung von theoretischen Annahmen auf der Basis messbarer Begriffe sowie deren genaue empirische Überprüfung sind ein Wesenskern der wissenschaftlichen Psychologie.

Psychologie zielt auf die Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Modifikation von Erleben und Verhalten ab. Die Unterscheidung dieser allgemeinen Aufgaben hilft auch, das professionelle Handeln von Lehrkräften zu strukturieren.

Psychische Phänomene wie der Erwerb bestimmter fachlicher Kompetenzen können unter verschiedenen grundlegenden Perspektiven (allgemeine, differenzielle, Entwicklungs-, soziale, ökologische oder diagnostische Perspektive) betrachtet werden, die allesamt einen Beitrag zu deren Verständnis leisten. Für den Lehrberuf wichtige angewandte Perspektiven der Psychologie sind die pädagogische und die klinische Perspektive – insbesondere die Pädagogische Psychologie liefert für Bildung und Erziehung eine große Bandbreite empirisch geprüfter Erkenntnisse und Handlungsansätze.

Das integrierende Modell von Nolting und Paulus (2018) dient der Einordnung der verschiedenen Aspekte des psychischen Systems und als Suchraster für die Erklärung bestimmten Verhaltens von Schülerinnen und Schülern.

Auch ohne jedes Wissen aus der wissenschaftlichen Psychologie denken wir alle im Alltag häufig psychologisch und verfügen über eine Alltagspsychologie, die allerdings subjektiv und fehlerbehaftet ist. Diese Alltagspsychologie kann die wissenschaftliche Psychologie nicht ersetzen und deren Erwerb sogar erschweren – alltagspsychologische Überzeugungen stellen aber einen Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit der wissenschaftlichen Psychologie dar.

Psychologisches Wissen liegt in Form von Theorien vor. Dies sind allgemeinere, regelhafte Aussagen dazu, wie bestimmte Aspekte von Erleben und Verhalten miteinander verknüpft sind, welche Ursachen sie haben und zu welchen Konsequenzen sie führen. Theoretisches Wissen der Psychologie hilft dabei, praktische Fragen im Lehrberuf besser verstehen zu können sowie angemessene und effektive Handlungsoptionen zu identifizieren.

Wichtige theoretische Paradigmen (Grundströmungen) der Psychologie, die die Analyse von Erleben und Verhalten in vielen Teildisziplinen einschließlich der Pädagogischen Psychologie auch heute noch beeinflussen, sind das behavioristische, das kognitivistische, das humanistische und das soziokulturelle Paradigma.

Einige wichtige offene und kontroverse Fragen der Psychologie, an denen Forschende derzeit arbeiten, sind die Individualisierung und Personalisierung von Lernen und Lehren in der Schule, die Verwendung von eher schüler- oder eher lehrkraftzentrierten Unterrichtsmethoden und die Evidenzorientierung von Lehrkräften zur Verbesserung der Unterrichtspraxis.

 

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Kapitel 2 – Lernen und Verhalten

Detlef Urhahne

In diesem Kapitel wurden drei grundlegende Ansätze zur Erklärung von Lernen beim Menschen vorgestellt. Durch Prozesse des Lernens wird eine verhältnismäßig dauerhafte Veränderung von Verhalten oder Verhaltenspotentialen aufgrund von Erfahrungen bewirkt. Beim klassischen Konditionieren liegen diese Erfahrungen in der gelernten Verbindung eines unkonditionierten Reizes mit einem neutralen Reiz. Dem kleinen Albert wurde so die Furcht vor einer weißen Ratte antrainiert. Das klassische Konditionieren beinhaltet die Kontroll-, Konditionierungs- und Löschungsphase sowie die Spontanerholung. Im schulischen Bereich findet es Anwendung bei der Entstehung emotionaler Reaktionen. Beim operanten Konditionieren wird vor allem aufgrund der Konsequenzen eines Verhaltens gelernt. Durch die Gabe oder den Entzug von Verstärkern lassen sich Verhaltensänderungen hervorrufen. Eine Lehrkraft kann durch verbale Belohnung und Bestrafung eine Klasse zu mehr Disziplin anleiten. Das operante Konditionieren gliedert sich in experimentellen Studien in die Phasen Bestimmung der Basisrate, Verstärkung und Löschung des Verhaltens sowie Spontanerholung. Im Schulkontext lässt es u.a. sich auf medienpädagogische und erzieherische Fragestellungen anwenden. Beim Beobachtungslernen genügt die Beobachtung eines Modells, um ein Verhalten zu erwerben und zu demonstrieren. Ein sprachliches Verhalten kann gezeigt werden, wenn es zuvor an einer Modellperson beobachtet wurde. Das Beobachtungslernen durchläuft die Aufmerksamkeits-, Behaltens-, Nachbildungs- und Motivationsphase. Das wichtigste Modell in der Schule ist die Lehrkraft. Alle drei Erklärungsansätze für menschliches Lernen weisen unterschiedliche Defizite auf.

 

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Kapitel 3 – Gedächtnismodelle und -prozesse

Christof Zoelch, Valérie-Danielle Berner und Sebastian Hirn

In diesem Kapitel wurden grundlegende Aspekte der Struktur und Funktion des menschlichen Gedächtnisses (sensorisches Register, Kurzzeit- bzw. Arbeitsgedächtnis sowie Langzeitgedächtnis) erörtert. Das Arbeitsgedächtnis fungiert dabei als Schnittstelle zwischen neu eingehender und langzeitig gespeicherter Information. Es ist nicht nur für die kurzzeitige Speicherung von Information bedeutsam, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Information. Insofern ist das Arbeitsgedächtnis unmittelbar für alle Arten schulischer Kognition wie z.B. beim Lesen, beim Rechnen und beim Textverständnis bedeutsam. Das Wissen um die Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses hilft beim Verständnis von Lernprozessen („Wie laufen Kopfrechenprozesse über das Arbeitsgedächtnis ab?“). Das Arbeitsgedächtnis hat eine begrenzte Kapazität. Die Kenntnis derselben liefert wertvolle Hinweise bei der adäquaten Gestaltung von Lernmaterialien und Unterricht, um eine Überlastung der Lernenden zu vermeiden.

Im Langzeitgedächtnis wird Wissen auf unterschiedliche Arten repräsentiert und organisiert. Es wurde eine Unterscheidung in ein deklaratives und ein nicht-deklaratives (prozedurales) Langzeitgedächtnis vorgenommen. Während im deklarativen Langzeitgedächtnis alle Arten von verbalisierbaren Fakten gespeichert werden, stellt das nicht-deklarative Langzeitgedächtnis den Speicher für (nicht-verbalisierbare) Abläufe und Verhaltensweisen dar. Verschiedene Modellannahmen zum Repräsentationsformat von Information im deklarativen und nicht-deklarativen Langzeitgedächtnis wurden vorgestellt. Das Wissen über diese Formate hilft zu verstehen, wie Lernende Information speichern, organisieren und abrufen. Nicht selten tritt nach Lernvorgängen das Phänomen des Vergessens auf. Es wurden verschiedene theoretische Ansätze zur Erklärung des Vergessens vorgestellt. Diese können helfen, das Phänomen bei der Konzeption des Unterrichts zu berücksichtigen. Die Sichtweise von Vergessen als Interferenz unterschiedlicher Gedächtnisinhalte kann helfen, Unterrichtsinhalte so abzustimmen, dass die Gefahr der Interferenz möglichst minimiert wird. Modellannahmen zum Vergessen als fehlende Abspeicherung oder nicht ausreichendes „Setzen“ von Lernstoff implizieren, dass es zwischen Lernphasen ausreichende Pausen geben sollte, die ein dauerhaftes Abspeichern des Stoffs begünstigen. Ansätze, die Vergessen als gestörten Abruf aus dem Langzeitgedächtnis sehen, helfen beim Geben von Hinweisreizen während der Präsentation von Lernstoff, um einen späteren Abruf anhand dieser Hinweisreize zu erleichtern.

 

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Kapitel 4 – Wissenserwerb

Tobias Richter und Veit Kubik

Beim Wissenserwerb in der Schule geht es um den kumulativen Aufbau und die Umstrukturierung von konzeptuellem (semantischen) Wissen, oft in engem Zusammenhang mit dem Erwerb kognitiver Fertigkeiten.

Der kumulative Aufbau von Wissen wird einerseits durch Merkmale des Lernmaterials gesteuert, wie er in Ansätzen wie dem Konstruktions-Integrations-Modell (Kintsch, 1988, 1998) beschrieben wird (textgeleitete oder Bottom-up-Konstruktion von Wissen). Er kann folglich durch eine gute Gestaltung des Lernmaterials, insbesondere durch einen sachlogischen Aufbau sowie sprachliche und didaktische Gestaltungsmittel, die den Lernenden die Herstellung von Zusammenhängen ermöglichen, unterstützt werden. Daneben hängt der kumulative Aufbau von Wissen aber auch in starkem Maße vom Vorwissen der Lernenden ab. Wenn gut organisiertes und leicht zugängliches Vorwissen vorhanden ist (etwa in Form von Schemata), kann das Vorwissen die Aufmerksamkeits-, Integrations- und Erinnerungsprozesse leiten (Top-down-Konstruktion von Wissen).

Der Ansatz des generativen (sinnerzeugenden) Lernens stellt den kognitiv-konstruktiven Charakter des Wissenserwerbs und die Rolle des Vorwissens beim Lernen in den Vordergrund. Der Ansatz des generativen Lernens hat zahlreiche empirisch gut erforschte didaktische Maßnahmen und Lernstrategien hervorgebracht, mit denen der kumulative Wissenserwerb durch eine Verbesserung der Auswahl, Organisation, Interpretation und Integration von Informationen beim Lernen gestärkt werden kann.

Die Umstrukturierung von Konzepten spielt beim Wissenserwerb immer dann eine Rolle, wenn fehlerhafte Konzepte durch korrektes Wissen ersetzt werden sollen. Je nachdem, wie tief die Fehlkonzepte im kognitiven System der Lernenden verankert sind, kann ihre Korrektur schwierig und kognitiv aufwendig sein. Als sinnvolle instruktionale Maßnahmen zur Korrektur von Fehlkonzepten haben sich Widerlegungstexte („refutation texts“) und die Stärkung argumentativer Kompetenzen erwiesen.

Wünschenswerte Erschwernisse beim Lernen sind Lernstrategien oder didaktische Maßnahmen, die eingesetzt werden können, um einmal erworbenes Wissen zu konsolidieren. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Lernen subjektiv erschweren, indem sie die lernrelevante kognitive Belastung erhöhen – in einer Weise, die das langfristige Behalten fördert. Zwei wünschenswerte Erschwernisse, deren Wirksamkeit für die Konsolidierung von Wissen gut belegt sind, sind Übungstests und die Verteilung der Lernzeit beim Wiederholen des Lernstoffs. 

 

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Kapitel 5 – Problemlösen und Expertiseerwerb

Hans Gruber, Michael Scheumann und Stefan Krauss

In diesem Kapitel ging es uns darum zu illustrieren, welche Möglichkeiten es gibt, Menschen dabei zu unterstützen, anspruchsvolle Lernaufgaben zu bewältigen und langfristig ein hohes Leistungsniveau zu erreichen. Dabei wurde deutlich, dass es viele Ansätze in der Lehr-Lern- Forschung, der Unterrichtsforschung und der Pädagogischen Psychologie gibt, die zu diesem Themenbereich wichtige Beiträge leisten – leider sind diese Ansätze noch nicht immer gut aufeinander abgestimmt. Daher wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt zu verdeutlichen, wie fruchtbar es sein kann, jeweils unterschiedliche Sichtweisen miteinander zu verknüpfen. Dies erfolgte in vier Schritten, in denen die folgenden Aspekte diskutiert wurden:

1. Wie hängen Problemlösen und Wissen miteinander zusammen?

2. Wie hängen angeborene Begabung und Lernen und Übung miteinander zusammen?

3. Wie hängt die individuelle Entwicklung im Kleinen (Mikroprozesse) mit der in größeren Zusammenhängen (Makroprozesse) zusammen, und wie fügen sich diese beiden Prozesse in größere Systeme oder Organisationen ein?

4. Wie hängen Expertiseerwerb und Kompetenzorientierung zusammen?

Es zeigte sich, dass von Problemlösen vor allem dann gesprochen wird, wenn noch keine fertigen Routinen zur Verfügung stehen oder wenn eine Person nicht vor vornherein das Wissen besitzt, wie eine Aufgabe zu bewältigen ist. Es ist aber nicht einfach, zu bestimmen, welches Wissen das „richtige“ Wissen ist, denn die meisten Probleme sind komplex und in bestimmte situationale Kontexte eingebunden. Es gibt also immer einen Übergangsbereich, in dem bestimmte Teile von Aufgaben mit bestehendem Wissen bewältigt werden können, andere hingegen mit Problemlöseprozessen angegangen werden müssen. Je weniger eine Person über den Gegenstandsbereich weiß, aus dem die Aufgabe stammt, umso wichtiger ist das Problemlösen. Das bedeutet, dass Expertinnen und Experten bei Routineproblemen nicht etwa qualitativ andersartiges, sondern gar kein Problemlösen betreiben. Das Drei-Phasen-Modell des Fertigkeitserwerbs verdeutlicht, wie der Übergang vom Problemlösen zur wissensbasierten Aufgabenbewältigung abläuft. Dieser Übergang muss pädagogisch begleitet werden, wenn sich Lernende entsprechend entwickeln sollen.

Analog zu dem eben genannten Übergang verändert sich auch die Bedeutung, die angeborene Fähigkeiten oder Begabungen für die Bewältigung von Lern- und Arbeitsaufgaben haben. Zu Beginn der individuellen Entwicklung sind sie – z.B. die Geschwindigkeit, mit der kognitive Prozesse ablaufen können – erheblich dafür verantwortlich, dass sich Menschen in den Ergebnissen von Problemlöseaktivitäten unterscheiden. Später spielt die Verfügbarkeit von viel Wissen, das zudem gut organisiert ist, eine viel größere Rolle. Deshalb wird die Gestaltung von Lern- und Übungsprozessen immer wichtiger. Die wesentliche pädagogische Aufgabe (z.B. für Lehrkräfte) ist es, Lernende dabei zu unterstützen, die richtigen in einer richtigen Art und Weise zu üben sowie die Lernbemühungen lang aufrecht zu erhalten.

Dabei spielen kognitive Veränderungen eine wichtige Rolle – also z.B. die Art und Weise, wie Lernende ihr Wissen organisieren, wie geschickt sie Wissen abrufen können, wie gut sie über die Anwendbarkeit von Wissen, aber auch über deren Grenzen Bescheid wissen, oder wie gut sie Lehren aus ihren eigenen Lernerfahrungen ziehen, egal, ob sie positiv oder negativ verliefen. Solche kognitiven Veränderungen oder individuellen Mikroprozesse verändern sich im Verlauf der Entwicklung von Menschen, denn die Aufgaben, denen sie begegnen, werden immer anspruchsvoller (sei es, dass Schülerinnen und Schüler von der Mittelstufe in die Oberstufe wechseln, sei es, dass Ärztinnen und Ärzte sich von Studierenden zu Medizinerinnen und Medizinern im Praktischen Jahr und irgendwann zu Fachärztinnen und Fachärzten entwickeln). Eine instruktionale Unterstützung dieser Entwicklung muss unterschiedliche Phasen oder Stufen berücksichtigen, die als individuelle Makroprozesse den Rahmen abgeben, innerhalb dessen die jeweils angemessenen Mikroprozesse ablaufen. Je mehr solcher Stufen von der Person schon bewältigt wurden, desto wichtiger wird die Rolle, die sie in der Gesellschaft, in Organisationen oder in beruflichen Netzwerken einnehmen. Sie können und müssen mehr Verantwortung übernehmen und dann zur Entwicklung der Organisation selbst beitragen. Dabei kommen das Wissen und die Erfahrung der Personen zur Geltung, zugleich stehen sie aber in der Verantwortung, die Triebfedern für Innovation und Weiterentwicklung zu sein. Das Zusammenspiel von Problemlösen und Wissen spiegelt sich sozusagen auf einem höheren Niveau wider.

Die Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, von Expertiseerwerb in der Schule zu sprechen, ist nicht einfach zu beantworten. Es gibt Unterschiede zwischen beiden Bereichen – beispielsweise zielt die Forschung zum Expertiseerwerb meist auf berufliche Tätigkeiten ab und ist besonders am Entstehen von Höchstleistungen interessiert, die nur zustande kommen können, wenn eine zunehmende Konzentration auf einen bestimmten Gegenstandsbereich erfolgt (Domänenspezifität). In der Schule geht es nur selten um Höchstleistungen, und Schülerinnen und Schüler können und dürfen sich nicht nur auf ein Fach konzentrieren, sondern müssen sich in vielen Fächern bewähren.

Dennoch überwiegen die Gemeinsamkeiten, die für das Lehren und Lernen in beiden Bereichen bestehen. Die wichtigsten Theorien haben gemeinsam, dass sie die angestrebten Fähigkeiten und Leistungen für erlernbar halten, dass sie Wissenserwerb und deswegen intensives, gut angeleitetes und reflektiertes Üben für wichtig halten und dass eine besondere Herausforderung darin besteht, die Balance zwischen Problemlösen und Wissen immer wieder – und auf immer höherem Leistungsniveau – zu finden und pädagogisch sowie didaktisch zu bewältigen. In diesem Sinne verweist die Entwicklung im deutschen Schulsystem hin zu einer Ausrichtung an Bildungsstandards und einer Kompetenzorientierung auf viele Aspekte, die in der Expertiseforschung thematisiert wurden und werden. Wie die wechselseitige Beziehung zwischen der Expertiseforschung und der Unterrichtsforschung so ausgebaut werden kann, dass beide Bereiche voneinander profitieren, ist eine große, aber aussichtsreiche Herausforderung für die nächsten Jahre. Dies kann sowohl in der grundsätzlichen Lehr-Lern-Forschung als auch in der pädagogischen und didaktischen Praxis – in der Schule wie auch am Arbeitsplatz und im Beruf – zu neuen Impulsen und Innovationen verhelfen.

 

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Kapitel 6 – Selbstreguliertes Lernen

Ulrike E. Nett und Thomas Götz

Im vorliegenden Kapitel wurden wichtige Aspekte selbstregulierten Lernens und deren Förderung diskutiert. Es wurden beispielhaft das hierarchische Dreischichtenmodell selbstregulierten Lernens von Monique Boekaerts (1999) und das Prozessmodell des selbstregulierten Lernens von Bernhard Schmitz (2001) vorgestellt. Beide Modelle betonen die Bedeutung von kognitiven und metakognitiven Strategien ebenso wie von Strategien zur Regulation der eigenen Ressourcen beim selbstregulierten Lernen. Im Dreischichtenmodell ist die Struktur und gegenseitige Beeinflussung dieser Strategien herausgearbeitet. Im Prozessmodell des selbstregulierten Lernens wird die zeitliche Abfolge des Einsatzes der unterschiedlichen Strategien verdeutlicht. Die empirische Befundlage, ob sich selbstreguliertes Lernen tatsächlich positiv auf den Lernerfolg auswirkt, ist relativ heterogen, mit Hilfe von Metaanalysen wurde jedoch belegt, dass eine Förderung selbstregulierten Lernens insgesamt positive Effekte auf die Lernleistung sowie auf das Lernverhalten von Schülerinnen und Schülern, ebenso wie auf motivationale und emotionale Aspekte des Lernens hat. Förderprogramme scheinen dann besonders wirkungsvoll, wenn sie neben kognitiven Lernstrategien auch weitere Strategien zur Selbststeuerung vermitteln.

Zur optimalen Förderung selbstregulierten Lernens ist es wichtig, die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler gut diagnostizieren zu können. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ebenso wie Lehrerinnen und Lehrern stehen dazu unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Während mit einigen Instrumenten wie z.B. Fragebogen und Interview vor allem Kompetenzen zum Selbstregulierten Lernen erfasst werden können, kann mit Hilfe von Instrumenten wie Lerntagebüchern, Experience Sampling, Lautes Denken oder Beobachtungsverfahren auch der Lernprozess selbst abgebildet werden. Allerdings beeinflussen diese Methoden den Lernprozess teilweise auch stark, so dass die Wahl der Diagnosemethode stets sorgfältig abgewogen werden sollte. Auf der Basis ausgesuchter Modelle und einer sorgfältigen Diagnostik können effiziente Förderprogramme entwickelt werden. Bei der Entwicklung solcher Programme zur Förderung selbstregulierten Lernens sollten jedoch neben dem Wissen und den Kompetenzen zum selbstregulierten Lernen auch individuelle Voraussetzungen wie z.B. die Emotionen, die Motivation, die Ressourcen und die Metakognitionen bezüglich selbstregulierten Lernens berücksichtigt werden.

 

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Kapitel 7 – Gehirn und Lernen

Jörg Meinhardt

Wie unsere Reise durch das Gehirn gezeigt hat, kommt insbesondere dem zerebralen Kortex für Lernen und Wissenserwerb eine besondere Bedeutung zu. Hier werden die höheren kognitiven Funktionen repräsentiert. Aber auch subkortikale Strukturen erfüllen wichtige Funktionen. Der Hippocampus ist beispielsweise für die Gedächtnisbildung des deklarativen Wissens notwendig. Demgegenüber spielt das Kleinhirn bei klassischer Konditionierung und implizitem Gedächtnis eine wesentliche Rolle.

Um Daten über das Gehirn zu gewinnen, stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung, die sich hinsichtlich ihrer zeitlichen Auflösung und Fähigkeit zur räumlichen Lokalisation unterscheiden. Beispielsweise können mittels EEG und MEG Gedankenblitze im Millisekunden-Bereich verfolgt werden, wohingegen die Stärke des fMRT in der räumlichen Lokalisation kognitiver Prozesse liegt. Auch können mittels MRT Gehirnstrukturen sichtbar gemacht werden.

Wichtige Erkenntnisse im Bereich der Gehirnentwicklung zeigen, dass diese weit über die Kindheit hinausgeht und in verschiedenen Regionen unterschiedlich verläuft. Sensorische und motorische Funktionen reifen vor höheren kognitiven Funktionen. Das hat insbesondere mit der späten Reifung des präfrontalen Kortex zu tun, der mit exekutiven Funktionen wie Arbeitsgedächtnis, inhibitorischer Kontrolle und Handlungsplanung assoziiert ist. Auch helfen die Befunde zum Präfrontalkortex adoleszenztypische Verhaltensweisen besser einzuordnen.

Dass Lernen im Gehirn Spuren hinterlässt, haben neurowissenschaftliche Studien in faszinierender Weise zeigen können. In Folge der Ausbildung von Expertise und Wissenserwerb kommt es in den für die Aufgaben besonders relevanten Gehirnaralen zu funktionellen und strukturellen Veränderungen. Besonders beeindruckend sind die Befunde zu strukturellen Änderungen im Hippocampus als Tor zum deklarativen Gedächtnis. Befunde an Kindern mit Leseschwierigkeiten zeigen zudem, dass ein erfolgreiches Lesetraining auch zu strukturellen Veränderungen in relevanten Gehirnregionen führt.

Neurowissenschaftliche Forschung kann helfen, unser Verständnis für Lernprozesse und die zugrundeliegenden kognitiven Funktionen zu erweitern. Sie kann dazu beitragen, die vorhandenen kognitiven Theorien und Modelle zu verbessern, indem die neuronale Ebene einbezogen wird. Leider verleitet die Bildhaftigkeit neurowissenschaftlicher Befunde – insbesondere in populären Medien – gelegentlich zu einer stark vereinfachten Sichtweise und fördert so die Herausbildung von Neuromythen. Die Herausforderung für die Zukunft neurowissenschaftlich orientierter Forschung im Bereich Lehren und Lernen besteht im Transfer vom Labor- in den Schulkontext. 

 

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Kapitel 8 – Interkulturelles Lernen

Carlos Kölbl, Astrid Utler und Andrea Kreuzer

Dieses Kapitel befasste sich mit den theoretischen Grundlagen interkulturellen Lernens sowie mit den Bezügen, die die Interkulturelle Psychologie zu unterschiedlichen psychologischen Teildisziplinen und einschlägigen erziehungswissenschaftlichen Diskursen aufweist. Davon ausgehend wurde aufgezeigt, wie interkulturelles Lernen im schulischen Kontext umgesetzt werden kann. Basierend auf der Annahme, dass Kulturen Orientierungssysteme darstellen, die nicht auf Nationen beschränkt und zudem dynamisch (also veränderbar) und offen sind, ist das erklärte Ziel interkulturellen Lernens die Herausbildung interkultureller Kompetenz. Um jedoch Kulturalisierungen zu vermeiden, sind auch Bezüge zur sozialpsychologischen Forschung notwendig. In heterogenen Gruppen lassen sich nämlich nicht alle Ereignisse auf kulturelle Einflussfaktoren zurückführen, vielmehr können auch Vorurteile oder Stereotype eine Rolle spielen. Die Umsetzung interkulturellen Lernens in der Schule kann auf vielerlei Arten erfolgen und auf den Ebenen Kognition, Emotion und Handlung ansetzen. Dafür können verschiedene Formate wie punktuelle (z.B. interkulturelle Trainings), aber auch zeitlich längerfristig angelegte Formen (z.B. Unterricht) integriert und die in der Schule verfügbaren Kontexte wie Lernen innerhalb sowie außerhalb (z.B. Schüleraustausch) des schulischen Alltagsrahmens genutzt werden. Ansätze interkulturellen Lernens in der Schule zielen darauf ab, dass „Vielfalt zugleich als Normalität und als Potenzial für alle“ wahrgenommen wird. Um dies zu gewährleisten, wird an der Etablierung interkulturellen Lernens im Rahmen einer übergeordneten „interkulturellen Öffnung“ der Schule gearbeitet, die nicht allein auf individueller Ebene ansetzt, sondern eine globalere Herangehensweise wählt und damit auch dazu beizutragen versucht, verschiedene Anstrengungen auf dem Weg zu einer Diversitätssensibilität zu bündeln und zu koordinieren.

 

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Kapitel 9 – Informelles Lernen

Doris Lewalter und Katrin Neubauer

Der Begriff „informelles Lernen“ geht auf den Philosophen und Pädagogen John Dewey zurück und beschreibt jene Lernprozesse, die in alltäglichen Lebens- und Problemsituationen sowohl zielgerichtet, strukturiert, selbstgesteuert und bewusst, als auch nicht intentional, beiläufig und unbewusst ablaufen können. Informelles Lernen erfolgt häufig bezogen auf konkrete Lern- bzw. Problemanlässe des Alltags und ist dementsprechend stark erfahrungsbasiert. Für Kinder und Jugendliche bilden insbesondere die Familie, die Gleichaltrigengruppe, (digitale) Medien und institutionelle informelle Lernumgebungen wie Museen, Zoos, Aquarien, botanische Gärten oder auch Vereine und Jugendorganisationen wichtige informelle Lernorte. Im Rahmen des informellen Lernens werden erfahrungsbasiert kognitive, motivationale, emotionale und soziale Grundkompetenzen, wie z.B. die Medienkompetenz oder „information literacy“ erworben, die wesentliche Ergänzungen zur institutionellen Ausbildung darstellen. Informelles Lernen ist neben dem formalen Lernen in Institutionen (Schule, Hochschule oder Aus- und Weiterbildungsstätten) ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtheit der lebenslang stattfindenden Bildungsprozesse. Für schulisches Lernen ist es wichtig, diese informellen Lernprozesse stärker als bisher zu berücksichtigen, aufzugreifen und mit den Lernprozessen im Schulkontext zu verknüpfen. Die Erforschung des informellen Lernens stellt die empirische Bildungsforschung vor große Herausforderungen: u.a. aufgrund des frühen Forschungsstandes, der teilweise unbewusst und beiläufig ablaufenden Lernprozesse sowie der geringen Zugänglichkeit lebensweltlicher informeller Lernkontexte wie Familie oder Gleichaltrigengruppe sind die forschungsmethodischen Zugänge begrenzt. Bisher wurde das informelle Lernen überwiegend mithilfe von Fragebögen und Interviews untersucht.

 

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Kapitel 10 – Fachliches Lernen

Birgit Jana Neuhaus, Detlef Urhahne und Stefan Ufer

Unter fachlichem Lernen wird der Erwerb spezifischer Fähigkeiten und Kenntnisse verstanden, um Anforderungen mit Wissen aus einem bestimmten Gebiet effizient und sicher bewältigen zu können. Die fachspezifische Lehr-Lern-Forschung beschäftigt sich entsprechend mit der Frage, was das Lernen in einem spezifischen Wissensgebiet auszeichnet und wie Lernprozesse in einem Fachgebiet verbessert werden können. Mit dem Fokus auf Mathematik und Naturwissenschaften, im Speziellen die Biologie, werden fünf wesentliche Ansätze der fachspezifischen Lehr-Lern-Forschung dargestellt und mittels Beispielen erläutert.

  • Es wird gezeigt, mit welchen fachrelevanten Vorstellungen Schülerinnen und Schüler in den Unterricht kommen, welche fachlichen Konzepte ihnen Lernschwierigkeiten bereiten und wie diese Lernschwierigkeiten produktiv für den Unterricht genutzt werden können.
  • Es werden Modelle untersucht, die die Struktur des Wissens in einer spezifischen Domäne beschreiben, sowie domänenspezifische Mechanismen, die besonders effektiv sind, um sich Wissen in diesem speziellen Gebiet anzueignen.
  • Es wird verdeutlicht, wie fachspezifische Kompetenzen strukturell aufgebaut sind und wie sie im Unterricht systematisch entwickelt werden können.
  • Struktur und Rolle einer Fachsprache als Lernprozess und Lernergebnis werden analysiert und die Folgerungen für die Rolle der Fachsprache beim Erlernen der Fachinhalte aufgezeigt.
  • Es wird erörtert, welchen Beitrag Aufgaben im Unterricht leisten können.

Zusammenfassend zeigt die Aufstellung zunächst, dass eine fachspezifische Perspektive die domänenübergreifende Darstellung von Lehr-Lern-Prozessen deutlich ausdifferenziert und ergänzt. Allgemeine Modelle, die die zugrundeliegenden Mechanismen von Wissensaneignung beschreiben, sind nicht notwendigerweise relevant für spezifische Konzepte bzw. den Erwerb einer spezifischen Kompetenz. Auch wenn Kirschner et al. (2017) argumentieren, Lehr-Lern-Prozesse würden innerhalb von Domänen mindestens genauso stark variieren wie zwischen Domänen, bietet doch – im Gegensatz zu allgemeinen, fächerübergreifenden Ansätzen – fachbezogene Forschung eine gezielte Auswahl an Instruktionsmethoden für spezifische Inhalte in der Praxis (Kap. 20). Für die Konzeption und Untersuchung solcher Modelle wird eine Kooperation von allgemeiner Lehr-Lern-Forschung und den Fachdidaktiken als besonders vielversprechend angesehen (Klieme & Rakoczy, 2008).

Darüber hinaus wird erkennbar, dass es Themenfelder gibt, die in verschiedenen Fächern systematisch bearbeitet werden, allerdings in der domänenübergreifenden Lehr- Lern-Forschung wenig Interesse geweckt haben. So werden beispielsweise Kriterien der Aufgabenauswahl und des Aufgabeneinsatzes primär aus fachspezifischer Sicht untersucht. Inwiefern sich für diese fachübergreifende Modelle und Ansätze konstruieren lassen, ist eine der Fragen, die sowohl in Kooperationen zwischen verschiedenen Fachdidaktiken als auch gemeinsam mit Vertretern der allgemeinen Lehr-Lern-Forschung zu klären sein werden.

 

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Kapitel 11 – Lernen mit Medien

Christof Wecker und Karsten Stegmann

Aus psychologischer Sicht ergibt es wenig Sinn, in Fragen der lernförderlichen Gestaltung von Medien von technisch oder auch entwicklungshistorisch motivierten Unterscheidungen von Medientypen auszugehen. Zielführender ist die Berücksichtigung der Funktionen, die ein Medium hinsichtlich des Lernens erfüllen soll, und eine Orientierung an grundlegenden psychologischen Theorien und Forschungsergebnissen dazu, durch welche Mechanismen und unter welchen Bedingungen das Medium diese Funktionen optimal erfüllen kann.

Bei der Nutzung von Medien zur Bereitstellung von Informationen hängt der Lernerfolg entscheidend davon ab, inwiefern die Kombination unterschiedlicher medialer Darstellungsmöglichkeiten wie Text, Grafiken, Audio oder Video auf Mechanismen der menschlichen Informationsverarbeitung und dabei bestehende Kapazitätsbeschränkungen abgestimmt wird, wie sie beispielsweise in der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens beschrieben werden. Orientierung bieten hier insbesondere Prinzipien des multimedialen Lernens wie beispielsweise das Aufmerksamkeitsteilungsprinzip.

Wenn Medien dazu eingesetzt werden sollen, Möglichkeiten für Lernaktivitäten zu eröffnen, durch die sich die Lernenden Wissen – beispielsweise über naturwissenschaftliche Sachverhalte oder Gesetzmäßigkeiten – selbst erarbeiten, kommt es nach der Theorie der wissenschaftlichen Entdeckung als doppelter Suche darauf an, dass die Formulierung von Hypothesen und die Durchführung von Experimenten durch die Lernenden systematisch aneinander gekoppelt werden. Werden sie dabei nicht unterstützt, erweist sich forschendes Lernen häufig als weniger wirksam als direkte Formen der Wissensvermittlung. Computerunterstütztes simulationsbasiertes forschendes Lernen bietet jedoch vielfältige Möglichkeiten, Lernende durch bestimmte Tools und Scaffolds zu unterstützen und dadurch den Lernerfolg zu steigern.

In Bezug auf die Nutzung von Medien zur Ermöglichung und Unterstützung von Kommunikation und Kooperation beim Lernen lassen sich auf der Grundlage der Perspektive von Gruppen als informationsverarbeitenden Systemen externale geteilte Repräsentationen, Group-Awareness-Tools und computerbasierte Kooperationsskripts als Möglichkeiten der Unterstützung von Lernenden entwickeln.

Am schnellsten schreitet die technische Entwicklung derzeit im Bereich generativer KI voran, und deren Anwendungsmöglichkeiten im Bildungsbereich sind erst in Teilen absehbar. Umso dringlicher ist in diesem Bereich weitere Forschung, die Fragen der Wirksamkeit im Hinblick auf Lernergebnisse in den Blick nimmt.

In allen Bereichen ist deutlich geworden, dass aus psychologischer Sicht jeweils Aspekte menschlicher Informationsverarbeitung über den Lernerfolg entscheiden, die sich zwischen Lernszenarien mit und ohne digitale Medien nicht grundlegend unterscheiden. Ein Mehrwert von – insbesondere digitalen – Medien im Unterricht kann allerdings darin liegen, dass durch sie individuelle und kooperative Lernaktivitäten ermöglicht und unterstützt werden, die anders nicht oder nur schwer angeregt werden könnten. Wir hoffen, mit diesem Beitrag Grundlagenwissen bereitgestellt zu haben, mit dessen Hilfe sich Medien – auch bei sich immer weiter beschleunigendem technischem Fortschritt – kreativ, flexibel und frei von Dogmen lernförderlich im Unterricht einsetzen lassen.

 

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II Kognitive, motivationale und emotionale Bedingungen des Lernens

 

Kapitel 12 – Intelligenz, Kreativität und Begabung

Eva Stumpf und Christoph Perleth

In diesem Kapitel haben wir gezeigt, dass die Begriffe Intelligenz, Begabung, Talent und kreatives Problemlösen in der Literatur bis heute nicht einheitlich definiert werden. Dies liegt vor allem daran, dass es sich auch bei diesen Begriffen, auch wenn oder gerade weil sie in der öffentlichen Diskussion eine so große Rolle spielen, um psychologische Konstrukte handelt, mit denen unter Umständen ganz unterschiedliche Aspekte des Lern- oder Problemlöseverhaltens von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen umrissen werden sollen. Es konnte aber auch festgestellt werden, dass Intelligenz und kreatives Problemlösen sich zum einen auf die Lösung neuartiger, also noch nicht gut eingeübter Probleme beziehen und dass andererseits Begabung und Talent meist auf bestimmte Domänen bezogen sind.

Die im zweiten Abschnitt dargestellten Intelligenztheorien haben im Hinblick auf verschiedene Ausschnitte der Realität einen unterschiedlich guten Erklärungswert. Manche thematisieren eine allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit, andere unterscheiden einzelne Intelligenzfaktoren, die unterschiedlichen Leistungsbereichen zugeordnet werden können. Im Abschnitt über Intelligenzmessung wurde aufgezeigt, nach welchen KriterienIntelligenztests konstruiert sind und welche Aussagen die jeweils ermittelten Kennwerte ermöglichen. Weiter wurde auf die Frage eingegangen, wo Unterschiede in der Intelligenz oder dem Intelligenzprofil von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen herrühren und mit welchen anderen Personenmerkmalen sie zusammenhängen.

Im Abschnitt über Hochbegabung wurde insbesondere diskutiert, ob und in welcher Hinsicht sich hochbegabte Schülerinnen und Schüler von durchschnittlich begabten unterscheiden und welche Fördermaßnahmen sich bei ihnen günstig auswirken (Akzeleration, Enrichment). Anhand eines umfassenden Modells der Begabungs- und Leistungsentwicklung wurde aufgezeigt, wie man sich die Entwicklung von Intelligenz und Begabung vorstellen könnte und welche weiteren Bedingungen auf Seiten der Persönlichkeit und des Lernumfelds erforderlich sind, damit Intelligenz und Begabung in Leistungen in verschiedenen Domänen umgesetzt werden können. Schließlich wurde dargestellt, welche Besonderheiten kreatives Problemlösen aufweist und wie man versuchen kann, Aspekte von Kreativität und Problemlösen zu erfassen und Kreativität im Unterricht zu fördern.

 

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Kapitel 13 – Emotionen

Christof Kuhbandner und Anne Frenzel

In diesem Kapitel ging es darum zu verstehen, was Emotionen sind, warum und in welchen Situationen Emotionen erlebt werden und welche Wirkungen diese entfalten. Emotionen stellen einen zentralen Mechanismus dar, mittels dessen der menschliche Organismus sein Verhalten steuert. Emotionen werden ausgelöst, wenn ein äußerliches oder innerliches Reizereignis hinsichtlich der Bedürfnisse und Ziele des Organismus als bedeutsam bewertet wird, und sie manifestieren sich dann in einer synchronisierten Veränderung aller bedeutender Subsysteme des Organismus (Gefühl, Motivation, physiologische Regulation, motorischer Ausdruck, Kognition). Im Laufe der Evolution haben sich verschiedene Basisemotionen entwickelt, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie angeboren sind und subkognitiv ausgelöst werden können. Im Laufe der evolutionären Entwicklung hat sich das emotionale Geschehen weiter ausdifferenziert. Dabei sind neue Arten von Emotionen entstanden, die zum einen auf der Bewertung von Konsequenzen hinsichtlich der Wünschbarkeit und Kontrollierbarkeit beruhen (Bewertungsemotionen), zum anderen auf der Bewertung von Konsequenzen hinsichtlich selbstwertbezogener Standards (Selbstwertbezogene Emotionen) beruhen. Ob jemand auf ein bestimmtes Ereignis mit einer bestimmten Emotion reagiert, hängt aber von den individuellen emotionalen und kognitiven Lernerfahrungen ab. Im Hinblick auf das emotionale Geschehen in der Schule lassen sich sechs Themenfelder unterscheiden: Leistungsemotionen, Themenbezogene Emotionen, Epistemische Emotionen, Soziale Emotionen, Schulunabhängige Emotionen, Emotionen von Lehrkräften. Emotionale Wirkungen auf Lehren und Wissenserwerb zeigen sich auf allen Stufen des Wissenserwerbs, allerdings müssen bei der Abschätzung der Gesamtwirkung der jeweilige Kontext und individuelle Gegebenheiten beachtet werden.

 

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Kapitel 14 – Motivation 

Robert Grassinger, Oliver Dickhäuser und Markus Dresel

Die aktuelle Motivation von Lernenden umfasst eine Erwartungs- und eine Wertkomponente und wirkt auf den kompletten Handlungsverlauf. Die Erwartungskomponente bezieht sich auf die Realisierbarkeit eines Zielzustandes, die Wertkomponente auf dessen Wünschbarkeit. Die Funktion von Motivation im Handlungsverlauf ist es vornehmlich, zielführende Handlungen zu initiieren, auszurichten und aufrechtzuerhalten, aber auch zu regulieren und zu bewerten. Die aktuelle Motivation wird von personalen und kontextuellen Determinanten beeinflusst, wirkt aber auch auf diese zurück. So beeinflussen insbesondere das Fähigkeitsselbstkonzept der handelnden Person oder interpersonelle Erwartungen und attributionales Feedback von Bezugspersonen die Erwartungskomponente. Die Wertkomponente lässt sich klassifizieren nach intrinsischen und extrinsischen Anreizen sowie nach unterschiedlichen Zielen und ist insbesondere beeinflusst von Motiven, Bedürfnissen, Zielorientierungen und personalen Interessen der handelnden Person sowie der Zielstruktur im Lernkontext. Bei der Handlungsdurchführung sind Prozesse der Selbstkontrolle und des Planens entscheidend. Diese hängen vom Einsatz volitionaler Strategien, der individuellen Selbstkontrollkapazität sowie der Handlungs- vs. Lageorientierung der handelnden Person ab. Die Ursachenzuschreibungen (Attributionen) für Erfolg und Misserfolg lassen sich entlang der Attributionsdimensionen Lokation, Stabilität und Kontrollierbarkeit ordnen; die Wirkungen von Attributionen auf das emotionale Erleben und die nachfolgende Motivation hängen von ihrer Verortung auf diesen Dimensionen ab. Zur Förderung der Motivation von Schülerinnen und Schülern ist zunächst die situationsbezogene Herstellung von Wert und Erfolgserwartung sinnvoll – auch wenn darüber hinausreichende Maßnahmen meist unabdingbar sind. Es empfiehlt sich, Unterrichtshandeln konsequent so zu gestalten, dass die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit befriedigt werden. Zudem sollte die Lehrkraft das Setzen geeigneter Ziele unterstützen und im Unterricht eine starke Lernzielstruktur realisiert werden. Schließlich stehen dezidierte Motivationstrainings zur Verfügung, die zur Förderung der Motivation von Schülerinnen und Schülern genutzt werden können.

 

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III Entwicklung im Kindes- und Jugendalter

 

Kapitel 15 – Modelle und Bedingungen der Entwicklung

Katja Seitz-Stein und Valérie-Danielle Berner

Im vorangehenden Kapitel wurden grundlegende Aspekte und zentrale Fragen der Entwicklungspsychologie erörtert. Sie sind für die Lehrkraft und ihr professionelles pädagogisches Handeln bedeutsam. Nach dem Gegenstand und den Aufgaben der Entwicklungspsychologie wurden Begriffe zur Erklärung von Entwicklung wie Reifung, Lernen oder Sozialisation erörtert. Lebensalter und weitere zeitbezogene Konzepte wurden in ihrer psychologischen Bedeutung vorgestellt. Die Frage kontinuierliche oder diskontinuierliche Entwicklung wurde ebenso erläutert wie die nach dem relativen Anteil von Anlage- und Umwelteinflüssen auf die intellektuelle Begabung. Grundlegende Entwicklungstheorien wurden typisiert und durch ihre Anwendung im schulischen Kontext verdeutlicht. Zum Abschluss wurden die Besonderheiten entwicklungspsychologischer Methoden der Datengewinnung und Stichprobenselektion vorgestellt. Insgesamt kann der Kenntnis von Modellen und Bedingungen der Entwicklung eine handlungskritische Funktion zugesprochen werden. Im Optimalfall dient sie als Grundlage zur Reflexion des professionellen pädagogischen Handelns von Lehrkräften.

 

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Kapitel 16 – Psychosexuelle und soziale Entwicklung

Markus Paulus

Kinder und Jugendliche durchlaufen während ihrer Schulzeit bedeutsame Entwicklungsveränderungen im psychosexuellen und sozialen Bereich. Die körperliche und psychosexuelle Entwicklung im Jugendalter stellt die Jugendlichen vor die Herausforderung, sich mit den neu entstehenden Bedürfnissen auseinanderzusetzen und ihre sozialen Beziehungen neu zu ordnen. Jugendliche mit frühzeitiger oder verzögerter körperlicher Entwicklung sowie mit abweichender sexueller Orientierung stehen dabei vor besonders großen Schwierigkeiten. Im Bereich der sozialen Entwicklung zeigt sich ein zunehmender Einfluss von Freundschaftsbeziehungen und Cliquen auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Insbesondere im Klassenverband abgelehnte Schülerinnen und Schüler haben ein erhöhtes Risiko für eine Reihe internalisierender und externalisierender Problemverhaltensweisen. Entwicklungsveränderungen zeigen sich auch in der sozialen Kognition, das heißt in der Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche die Handlungen anderer Menschen wahrnehmen, verstehen und erklären, und im prosozialen Verhalten. Eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Sozialverhaltens spielen die Eltern und weitere zentrale Bezugspersonen. Die Ermöglichung von sozialem Austausch, die Thematisierung passender Interaktionsstrategien, das Vorleben sozial kompetenten Verhaltens und die Überzeugung, dass Persönlichkeitsmerkmale nicht determiniert sind, haben sich als förderlich für die Entwicklung sozialer Kompetenzen erwiesen. Einige dieser Punkte können auch von Lehrkräften berücksichtigt werden.

 

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Kapitel 17 – Kognitiv-sprachliche Entwicklung

Dorothea Dornheim und Sabine Weinert

Ausgehend von theoretischen Ansätzen in der kognitiven Entwicklungspsychologie einschließlich der interaktionistischen Kontexttheorie von Wygotski, die die Bedeutung der sprachlichen Interaktion für die Entwicklung der bewussten Steuerung von kognitiven Prozessen betont, wurden wichtige alterstypische Veränderungen in Sprache und Kognition (Gedächtnis, Lernen, Denken, Problemlösen) unter Einbezug empirischer Befunde nachgezeichnet. Dargestellt wurden u.a. Entwicklungszusammenhänge zwischen dem Erwerb bereichsspezifischen Wissens einschließlich des Erwerbs intuitiver Theorien und mehr oder weniger bereichsspezifischen sowie bereichsübergreifenden Komponenten der Gedächtnisentwicklung (Basisprozesse, Aufmerksamkeitsprozesse, exekutive Funktionen, Strategien, deklaratives und prozedurales Metagedächtnis). Zusammenhänge zwischen Gedächtniskomponenten und Entwicklungsveränderungen im Denken und Problemlösen wurden herausgearbeitet; auch die wechselseitigen Zusammenhänge von Sprache, Gedächtnis und Denken wurden beleuchtet. Eine Kenntnis der Dynamik der kognitiv-sprachlichen Entwicklungsveränderungen vom Säuglings- bis zum Jugendalter bildet ein zentrales Grundwissen für Lehrende. Vor dem Hintergrund dieses Wissens kann ein breites Spektrum von sprachbezogenen Lern- und Gedächtnisprozessen sowie Denk- und Problemlöseprozessen im Schulalltag als Grundlage professioneller Handlungskompetenz reflektiert werden.

 

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Kapitel 18 Motivationale und emotionale Entwicklung

Klaudia Kramer und Gottfried Spangler

Ausgehend von theoretischen Ansätzen in der kognitiven Entwicklungspsychologie einschließlich der interaktionistischen Kontexttheorie von Wygotski, die die Bedeutung der sprachlichen Interaktion für die Entwicklung der bewussten Steuerung von kognitiven Prozessen betont, wurden wichtige alterstypische Veränderungen in Sprache und Kognition (Gedächtnis, Lernen, Denken, Problemlösen) unter Einbezug empirischer Befunde nachgezeichnet. Dargestellt wurden u.a. Entwicklungszusammenhänge zwischen dem Erwerb bereichsspezifischen Wissens einschließlich des Erwerbs intuitiver Theorien und mehr oder weniger bereichsspezifischen sowie bereichsübergreifenden Komponenten der Gedächtnisentwicklung (Basisprozesse, Aufmerksamkeitsprozesse, exekutive Funktionen, Strategien, deklaratives und prozedurales Metagedächtnis). Zusammenhänge zwischen Gedächtniskomponenten und Entwicklungsveränderungen im Denken und Problemlösen wurden herausgearbeitet; auch die wechselseitigen Zusammenhänge von Sprache, Gedächtnis und Denken wurden beleuchtet. Eine Kenntnis der Dynamik der kognitiv-sprachlichen Entwicklungsveränderungen vom Säuglings- bis zum Jugendalter bildet ein zentrales Grundwissen für Lehrende. Vor dem Hintergrund dieses Wissens kann ein breites Spektrum von sprachbezogenen Lern- und Gedächtnisprozessen sowie Denk- und Problemlöseprozessen im Schulalltag als Grundlage professioneller Handlungskompetenz reflektiert werden.

 

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Kapitel 19 Entwicklung des Selbst und der Persönlichkeit

Martin Pinquart

In Kindheit und Jugend treten überwiegend positive Veränderungen in Kerndimensionen der Persönlichkeit, des Selbstwerts, der Identität und im moralischen Urteilen auf. Interindividuelle Unterschiede in Kernmerkmalen der Persönlichkeit und im Selbstkonzept verfestigen sich in Kindheit und Jugend immer mehr.

Die Persönlichkeitsentwicklung wird vom Zusammenspiel von biologischen Einflüssen, sozialen Einflüssen und der Eigenaktivität des Individuums beeinflusst. Erfahrungen in der Schule wie gute oder schlechte Noten zu bekommen, im Vergleich zu Mitschülerinnen und Mitschülern gut oder schlecht abzuschneiden und unterstützende Lehrerinnen und Lehrer zu haben, tragen zu Veränderungen der Persönlichkeit bei. Aspekte der Persönlichkeit wie Gewissenhaftigkeit oder Offenheit für Erfahrungen haben auch Rückwirkungen auf den Schulerfolg und auf Problemverhalten im schulischen Kontext. Zusammenhänge von einzelnen Persönlichkeitsaspekten mit einzelnen Einflussfaktoren bzw. von Persönlichkeitsaspekten und Schulleistung sind meist nur schwach ausgeprägt. Das ist nicht verwunderlich, da eine Vielzahl von Faktoren die Persönlichkeit und die Leistung beeinflussen.

Gemeinhin wird als Erziehungsauftrag der Schule verstanden, dass diese zur Entwicklung mündiger und sozial verantwortlicher Persönlichkeiten beitragen und gesellschaftlich wünschenswerte Wertorientierungen und Verhaltensbereitschaften vermitteln soll (Hofmann & Siebertz-Reckzeh, 2008). Tatsächlich messen Lehrkräfte der Förderung der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler eine ähnlich hohe Wichtigkeit zu wie fachlichen Zielen (Hofer, 2014). Allerdings finden vorliegende Studien in der Regel nur kleine Effekte von Aspekten der Schule – wie Verhalten der Lehrkräfte und Klassenklima – auf die Oberflächenmerkmale der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler (Reddy et al., 2003; Retelsdorf et al., 2015; Rich & Schachter, 2012). Überzeugende Belege für schulische Einflüsse auf Kernmerkmale der Persönlichkeit fehlen völlig. Ein Grund für diese unbefriedigenden Befunde sind Zielkonflikte zwischen Wissensvermittlung und Persönlichkeitsentwicklung: Die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung kommt bei einem starken Fokus auf die Leistungsentwicklung oft zu kurz (Hofmann & Siebertz-Reckzeh, 2008).

Denkbar ist jedoch auch, dass manche schulische Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung bisher übersehen wurden, da sich die Bildungsforschung sehr stark auf die Entwicklung kognitiver Kompetenzen konzentriert hat (Hofer, 2014). Notwendig ist also mehr Forschung zur wirksamen Förderung der Persönlichkeitsentwicklung durch die Schule. Angesichts der Vielzahl von Einflussfaktoren auf die Persönlichkeitsentwicklung überrascht es allerdings keinesfalls, dass einzelne Faktoren – wie etwa Unterstützung durch die Lehrkräfte – im Mittel nur kleine Effekte haben.

 

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IV Lehren und Unterrichten

 

Kapitel 20 Lehren und Unterrichten

Ingo Kollar und Frank Fischer

  • Nach Hattie (2023) „kommt es auf die Lehrperson an“: Sie verfügt über zahlreiche Handlungsmöglichkeiten, das Lernen der Schülerinnen und Schüler so zu unterstützen, dass sie eine reichhaltige und flexible Wissensbasis sowie flexibel anwendbare Fertigkeiten und Kompetenzen erwerben können.
  • Damit die Lehrperson den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler unterstützen kann, benötigt sie Wissen über solche Lernaktivitäten und kognitiven Prozesse, die in einem engen Zusammenhang mit dem Wissenserwerb stehen. Hierfür ist insbesondere ein Engagement in konstruktiv-interaktiven Lernaktivitäten hilfreich, weil dieses auf kognitiver Ebene mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit besonders hochwertiger Inferenz- und Co-Inferenzprozessen einhergeht.
  • Zur Auslösung und Unterstützung entsprechender Lernaktivitäten und kognitiver Prozesse hat die Lehr- Lern-Forschung verschiedene Unterrichtsmethoden entwickelt, die von stärker lehrer- zu mehr schülerzentrierten Zugängen reichen.
  • Bei diesen Unterrichtsmethoden handelt es sich allerdings eher um Lehr-/Lernphilosophien, die zwar hilfreiche Orientierungen bei der Unterrichtsplanung bieten können, aber nicht direkt auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler wirken.
  • Von größerer Bedeutung für die Beeinflussung der Lernaktivitäten und kognitiven Prozesse von Schülerinnen und Schülern sind die konkreten Handlungen, die Lehrpersonen im Unterricht zur Unterstützung des Lernens vollziehen. Besonders wichtig sind hierbei Lehrtechniken zur Überwachung von Lernprozessen, zum Herstellen von Lernbereitschaft, zum Präsentieren, Erklären und Demonstrieren, zur Unterstützung von Schülerarbeitsphasen (Scaffolding) und zum Feedback geben.
  • In jedem Fall sollten Lehrpersonen darauf achten, Unterrichtsmethoden und Lehrtechniken adaptiv einzusetzen, um den unterschiedlichen und sich ändernden kognitiven und motivationalen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Offene, komplexe Probleme wie beim problemorientierten Lernen, so motivierend sie sein mögen, sind für Lernende mit geringem Vorwissen ohne gezielte Anleitung wenig geeignet

 

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Kapitel 21 Unterrichtsqualität

Barbara Drechsel und Ann-Kathrin Schindler

Guter Unterricht ist etwas, was geplant werden muss. Entgegen früheren Annahmen, die von der „geborenen“ Lehrerpersönlichkeit ausgingen, die das Unterrichten bereits als Fähigkeit mitbringt, wissen wir heute erstens, dass Unterrichten gelernt werden kann und muss (Kunter et al., 2015; Retelsdorf & Südkamp, 2012). Zweitens sind fundierte Kenntnisse zur Klassenführung, kognitiven Aktivierung und konstruktiven Unterstützung eine wichtige Basis des Unterrichtens. Sie sollten als integrativ und präventiv verstanden werden: Zahlreiche Maßnahmen wie die gute Strukturierung des Unterrichts bedienen alle drei Dimensionen und beugen Disziplinproblemen vor. Darüber hinaus sollte Unterricht stets als Angebot an Lernende mit individuellen kognitiven und motivationalen Voraussetzungen verstanden werden. Schülerinnen und Schüler lernen in individuellem Tempo, entlang verschiedener Interessen und sind unterschiedlich leistungsbereit. Diese Heterogenität gilt es zu schätzen und ihr mit entsprechenden Differenzierungsmaßnahmen zu begegnen.

 

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Kapitel 22 Lehren mit Medien

Florian Schultz-Pernice, Sarah Hofer, Michael Sailer, Nicole Heitzmann und Frank Fischer

Der Einsatz von Medien zur Unterstützung der Lehre im Unterricht begleitet die Schule als Institution von Anfang an. In ihrer Eigenschaft als Repräsentationssysteme stellen Medien Lerninhalte und Lernumgebungen bereit, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen, um Wissen und Kompetenzen zu erwerben und einzuüben. Digitale Medien bieten über die zeichenhafte Repräsentation von Lehrstoffen hinaus die Möglichkeit für Lernende, mit diesen zu interagieren.

Die Aufgabe von Lehrkräften im mediengestützten Unterricht besteht darin, Unterricht mit Medien zu planen, durchzuführen, zu evaluieren, ihre Lehr-Lern-Szenarien ggf. mit anderen zu teilen und in einem iterativen Prozess weiterzuentwickeln. Im einem von (digitalen) Medien geprägten Unterricht verändern sich damit auch die Arbeitsschwerpunkte und Rollen von Lehrkräften: Die Planung, Entwicklung und Implementierung digital gestützter Lehr-Lern-Szenarien erfordert häufig einen höheren Aufwand in der Vorbereitungshase. Dafür treten Lehrkräfte im Unterricht tendenziell eher in der Rolle von Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern in Erscheinung, die Lernen beobachten, diagnostizieren und durch geeignete Maßnahmen unterstützen. In der Phase nach dem Unterricht schließlich erleichtert der Einsatz digitaler Medien eine datengestützte Evaluation der Unterrichtsergebnisse sowie den Austausch von Lehr-Lern-Szenarien (Sharing).

Die Planung und Durchführung eines lernförderlichen Einsatzes (digitaler) Medien im schulischen Unterricht stellt spezifische Anforderungen an Lehrkräfte. Sie müssen dazu optimale Repräsentationen für die Lehrstoffe auswählen, ggf. adaptieren oder selbst entwickeln (Materialdesign), die Schülerinnen und Schüler beim Lernen mit diesen Repräsentationen angemessen aktivieren, also zu bestimmten Lernaktivitäten anregen (Aktivierungsdesign), und schließlich das Lernen der Schülerinnen und Schüler unterstützen (Lernunterstützungsdesign). Für den Bereich des Materialdesigns hat die lehr-lernpsychologische Forschung Theorien und auf empirischen Forschungsbefunden basierende Designprinzipien erarbeitet, die Lehrkräften bei der Auswahl und Gestaltung von Lernmaterial Orientierung bieten, etwa bei der lernförderlichen Gestaltung von Texten, Hypertexten oder Bildern sowie multimedialen Repräsentationen wie Erklärvideos, Animationen oder Simulationen. Auch für den Bereich des Aktivierungsdesigns liegen Ansätze vor, die eine Vielzahl von Forschungsbefunden zu Modellen verdichten und damit unterrichtsbezogene Entscheidungen unterstützen können. Das ICAP-Modell unterscheidet vier Stufen unterschiedlich anspruchsvoller Lernaktivitäten von Schülerinnen und Schülern, mit denen das Erreichen unterschiedlich anspruchsvoller Lernziele systematisch unterstützt werden kann. Damit bietet es eine einfache und praxistaugliche Heuristik, die evidenzorientierte didaktische Entscheidungen im mediengestützten Unterricht anleiten kann.

Der Prozess der digitalen Transformation bringt nicht nur ständig neue digitale Technologien hervor, die Forschung und Praxis der mediengestützten Lehre anregen. Er wird vielmehr seinerseits beeinflusst durch kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen, die sich auf die Bildungsarbeit auswirken, z.B. die Veränderung des Fachwissens in Zeiten digitaler Technologien oder die Notwendigkeit der Vermittlung neuartiger medien- und digitalisierungsbezogener Kompetenzen an Schülerinnen und Schüler. Dieser Prozess führt zur Entwicklung spezifischer Konfigurationen mediengestützten Unterrichts, die jeweils als Lösungen für bestimmte Problemstellungen angesehen werden können und als solche auch zu Gegenständen der pädagogisch-psychologischen Fachdiskussion sowie der empirischen Forschung werden. Derzeit aktuelle Konfigurationen mediengestützter Lehre sind das Lehren und Lernen mit digitalen Simulationen, Gamification im Unterricht, das computergestützte kollaborative Lernen (CSCL) sowie das Lehren und Lernen mit Künstlicher Intelligenz.

Um solche innovativen und teilweise auch medientechnisch anspruchsvollen Lehr-Lern-Technologien verstehen und lernförderlich, rechtssicher und verantwortlich in den eigenen Unterricht einbeziehen zu können, benötigen Lehrkräfte heute eine Fülle an medien- und digitalisierungsbezogenen Kenntnissen und Fähigkeiten. Diese werden in Modellen medienbezogener Kompetenzen von Lehrkräften spezifiziert und systematisiert, u.a. mit dem Ziel, Lehrkräfte bei deren systematischem Erwerb zu unterstützen. Trotz unterschiedlicher Konzeptualisierung und Systematisierung stimmen diese Modelle in zentralen Dimensionen zumeist überein, werden in unterschiedlicher Weise von Wissenschaft und Schulbehörden aufgenommen und entfalten auf diesem Weg eine zunehmende Wirksamkeit im Schulwesen.

 

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Kapitel 23 Kompetenzen und berufliche Entwicklung von Lehrkräften

Cordula Artelt und Mareike Kunter

Das Aufgabenspektrum von Lehrkräften ist vielfältig, anspruchsvoll und in einigen Bereichen nicht oder nur schlecht planbar. Neben ihrem Hauptgeschäft, der adäquaten Gestaltung des Unterrichts, der den Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler fördert, müssen sie im professionellen Alltag noch ein reichhaltiges Spektrum weiterer mehr oder weniger unterrichtsbezogener Tätigkeiten erfüllen. Dies verlangt von der Lehrkraft spezifisches professionelles Wissen, förderliche motivationale Orientierungen und berufliche Überzeugungen sowie selbstregulative Fähigkeiten. Diese Aspekte professioneller Kompetenzen werden zu einem erheblichen Teil in der formalen Ausbildung aufgebaut. Aber auch vor Beginn der formalen Ausbildung werden hierfür wichtige Grundlagen gelegt und insbesondere im Rahmen der Berufspraxis, besonders dann, wenn es sich um reflexive Praxis handelt, bedeutsam weiterentwickelt und ausgeformt.

Als Facetten professionellen Wissens können Fachwissen und fachdidaktisches Wissen als fachbezogene Facette, und auf den Unterricht bezogenes und über den Unterricht hinausgehendes Wissen als fachunabhängige Facetten unterschieden werden. Professionswissen ist notwendig, um Praxiserfahrungen angemessen einordnen und reflektieren zu können. Hierbei ist nicht nur eine fachliche, theoretische Rahmung notwendig, sondern in erheblichem Maße auch bildungswissenschaftliches Wissen relevant. Die theoretische Ausbildung zur Lehrkraft bildet damit die Grundlage für die Integration von Wissen unterschiedlicher disziplinärer Herkunft mit praktischen Erfahrungen. Professionelles Wissen kann auch als Ordnungsrahmen fungieren, um die komplexe praktische Realität zu ordnen. Zudem ist das Professionswissen erfahrener Lehrkräfte sehr wahrscheinlich in spezifischer Weise mit praktischen Handlungsanlässen verknüpft und automatisiert.

Für professionelles pädagogisches Handeln sind zudem berufliche Überzeugungen, motivationale Orientierungen (wie Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Zielorientierungen) und die Selbstregulationsfähigkeit von Lehrkräften bedeutsam. Die Entwicklung motivationaler Orientierungen und beruflicher Überzeugungen beginnt schon früh – insbesondere durch die Erfahrungen in der eigenen Schulzeit. Für den beruflichen Werdegang von Lehrkräften bedeutet dies, dass die in der eigenen Schulzeit entwickelten Orientierungen und Überzeugungen ihre weitere Ausbildung wie ein Filter beeinflussen und sich in der Ausgestaltung von Unterrichtspraxis implizit niederschlagen. Problematisch sind Überzeugungen dann, wenn sie auf falschen Prämissen beruhen. Viele Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner betonen daher die Notwendigkeit, diese oft nicht bewussten Überzeugungen  und Orientierungen bei den Lehramtsstudierenden sichtbar zu machen und professionell zu reflektieren.

Als vierte Facette professioneller Kompetenzen von Lehrkräften sind selbstregulative Fähigkeiten zu sehen. Stark durch die Forschung zur Lehrergesundheit geprägt, werden diese nach den Dimensionen Widerstandsfähigkeit und Engagement unterschieden.

Wie wichtig die Berufspraxis für die Etablierung und Ausformung professioneller Kompetenzen ist, verdeutlichen Befunde, die zeigen, dass sich erfahrene Lehrkräfte im Vergleich zu Novizen in einer Reihe von professionsrelevanten Merkmalen unterscheiden. Unter anderem planen Lehrexpertinnen und -experten zukünftige Unterrichtsstunden besser, komplexer und effektiver als Novizen. Auch nehmen sie Situationen des Unterrichtsgeschehens anders wahr. Bei erfahrenen Lehrkräften scheinen anforderungsorientierte Abstraktionen leitend zu sein, was sie u.a. beim Umgang mit der Gleichzeitigkeit vieler und zum Teil auch dem Lernziel abträglicher Ereignisse im Unterricht effizienter und erfolgreicher macht.

Die in der Ausbildung vermittelten Wissenselemente (z.B. Didaktiken der Unterrichtsfächer, Bildungswissenschaften), die als starting competence bezeichnet werden können, stellen Blaupausen für eine durch Praxiserfahrung angereicherte Wissensintegration und Automatisierung (in-service competence) dar. In welchem Maße die professionelle Entwicklung nach Abschluss der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung zu einer erfolgreichen Wissensintegration führt oder aber primär als Prozess der Habitualisierung und damit der Gewöhnung an subjektiv bewährte Unterrichtstechniken geschieht, hängt im erheblichen Maße davon ab, ob Lehrkräfte über ihre Praxis reflektieren, Feedback bekommen und sich mit ihrem eigenen professionellen Handeln auseinandersetzen.

Erfahrungen aus der Praxis und aus der Forschung verdeutlichen, dass professionelle Kompetenzen von Lehrkräften vielfältig sind und „die gute Lehrkraft“ nicht über den Weg der Selektion, der Motivierung oder der Qualifikation allein gewonnen werden können. Es gibt nicht die angeborenen Talente, nach denen Lehrkräfte ausgewählt werden können (Selektion) und es ist auch nicht damit getan, Lehrkräfte – zum Beispiel durch höhere Gehälter – „zu motivieren“. Genauso kurz gegriffen ist es, die professionelle Entwicklung ausschließlich auf die Phase der Ausbildung zu begrenzen und die formale Qualifikation allein als ausreichend für die Entstehung professioneller Kompetenzen zu verstehen. Bei solchen engführenden Argumentationen werden immer nur einzelne Aspekte professioneller Kompetenzen von Lehrkräften betrachtet (z.B. nur Wissen oder nur Motivation). Bewährt hat sich jedoch ein mehrdimensionaler Ansatz, der verschiedene Aspekte unterscheidet. Hierzu zählen neben den unterschiedlichen Facetten professionellen Wissens auch berufliche Überzeugungen, selbstregulative Fähigkeiten und motivationale Orientierungen, die z.T. weit vor der formalen Ausbildung, teils innerhalb dieser und teils erst im Laufe der beruflichen Praxis entstehen. Zudem wird deutlich, dass im Rahmen der professionellen Entwicklung individuelle Voraussetzungen in die Phase der formalen Ausbildung hineinwirken und es bedeutsam ist, die vielfältigen Lerngelegenheiten, die sich im Verlauf des beruflichen Lebens ergeben, für die Weiterentwicklung nutzbar zu machen.

 

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V Soziale Prozesse in Schule und Unterricht

 

Kapitel 24 Soziale Interaktion und Kommunikation

Ann-Kathrin Schindler, Ricardo Böheim, Doris Holzberger, Kathleen Stürmer, Maximilian Knogler und Tina Seidel

Die Schule und das Klassenzimmer sind Orte vielfältiger Kommunikation und Interaktion. Werden die Möglichkeiten der Kommunikation optimal genutzt, erwachsen daraus viele positive Konsequenzen sowohl für Gruppen als auch für den Einzelnen. Die Unterrichtsforschung weist darauf hin, dass Lehrkräfte hier vielfach wirksame Akzente setzen können. Werden Lernziele klar artikuliert, was, mit wem und zu welchem Zweck im Rahmen eines Interaktionssettings gelernt werden soll? Wissen Schülerinnen und Schüler, dass eine Beteiligung von ihnen erwartet, ihnen dafür aber auch die Möglichkeit eingeräumt wird und ihre Ideen und Fragen wesentlich zum Unterrichtsgeschehen beitragen? Ist die Erwartung an aktives Zuhören als die Verantwortlichkeit jedes einzelnen geklärt? Werden Frage- und Feedbackverhalten gezielt eingesetzt und Voraussetzungen für einen schülerzentrierten Dialog geschaffen? Diese und andere Fragen sollte sich eine Lehrkraft in der Reflexion des eigenen Unterrichts stellen, um die Qualität von Interaktionen mit ihren Schülerinnen und Schülern zu sichern. Auch in Gesprächen mit Eltern geht es für Lehrkräfte darum, Kommunikation zu nutzen, nicht nur um die anstehenden Probleme zu analysieren, sondern genauso, um positive Beziehungen mit den Eltern herzustellen. Auf der Basis einer tragfähigen Beziehung können beide Seiten gemeinsam Verantwortung übernehmen und Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung stärken. Nicht zuletzt spielt gelungene Kommunikation in der Zusammenarbeit der Lehrkräfte untereinander eine bedeutende Rolle. Diese kommt vor allem dann zum Tragen, wenn die Zusammenarbeit über den gelegentlichen Austausch von Unterrichtsmaterialen hinausgeht. Hier kann eine professionelle Kommunikation die treibende Kraft für intensiven kollegialen Austausch sein, der eine gemeinsame Wissenskonstruktion und letztlich auch Fortschritte in der Schulentwicklung zum Ergebnis hat. Abschließend lautet die gute Nachricht für alle angesprochenen Ebenen, dass die Kompetenz für produktive Kommunikationsprozesse trainiert und ausgebaut werden kann. Seminare und Trainings an Universitäten und Fortbildungsinstituten arbeiten erfolgreich mit Videoanalysen und simulierten Szenarien, um schulischen Praxissituationen schrittweise näher zu kommen. Fortgeführt durch schulinterne Maßnahmen wie kollegiale Hospitationen zeigen empirische Befunde das Potenzial professioneller Entwicklungsmaßnahmen in allen Phasen der Lehrerbildung.

 

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Kapitel 25 Soziale Strukturen und Prozesse

Gisela Steins, Kristin Behnke und Anna Haep

Wenn Menschen zusammenkommen, gestalten sie durch gegenseitige Einflussnahme ihre Beziehungen. Diese Beziehungsgestaltung kann durch Strukturen beschrieben werden, welche aufdecken, wie Macht und Einflussnahme verteilt sind. Es gibt keinen menschlichen Bereich, der frei von beeinflussenden Strukturen wäre. Es gibt aus den verschiedenen theoretischen Perspektiven einige zentrale Erkenntnisse. Erstens ist es wichtig zu verstehen, dass Individuen in einer Gruppe sich Normen nur verpflichtet fühlen, wenn sie von ihrem Wert überzeugt sind. Ohne gute Argumente, Experten-, Informations- und Belohnungsmacht ist es schwierig, Individuen in einer Gruppe davon zu überzeugen etwas zu tun, was ihnen Anstrengung abverlangt.

Eine Schulklasse kann als eine Gruppe angesehen werden, die sich gegenseitig beeinflusst. Schulklassen sind eine Form einer Gruppe, die es so nur in Schulen gibt. Das gemeinsame Ziel, welches charakteristisch für eine Gruppe ist, fehlt in der Regel: Schülerinnen und Schüler verfolgen individuelle Ziele. Die Zusammensetzung und die sozialen Strukturen beeinflussen auch Arbeitsabläufe und die Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen und Kollegium und tragen somit zum Klima einer gesamten Klasse bei. Für eine gute Gestaltung sind soziale Vergleichs- und Selbstaufmerksamkeitsprozesse sowie der Zusammenhalt in Arbeitsgruppen zu beachten, sowie Gruppenprozesse und Aufgabentypen. Grundprozesse des Einflusses, wie der Grad der Zugewandtheit und Unterstützung und das Erwartungsniveau spielen auch im Elternhaus eine große Rolle insofern sie die Entwicklung der Selbstkonzeptionen Heranwachsender beeinflussen.

 

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Kapitel 26 Soziale Einstellungen im Schulkontext

Lars-Eric Petersen

Soziale Einstellungen umfassen Stereotype und Vorurteile. Stereotype stellen eine kognitive Struktur dar, die das Wissen, die Überzeugungen und die Erwartungen über eine soziale Gruppe von Menschen bündelt. Vorurteile drücken eine ablehnende oder feindselige Haltung gegenüber bestimmten sozialen Gruppen oder ihren Mitgliedern aus. Ein zentraler Mechanismus bei der Bildung von Stereotypen und Vorurteilen besteht in der generellen Bereitschaft von Personen zur sozialen Kategorisierung. Unterschieden wird dabei zwischen Eigengruppen (Gruppen, denen man angehört) und Fremdgruppen (Gruppen, denen man nicht angehört). Mitglieder der Fremdgruppe werden insgesamt als sehr ähnlich in Bezug auf die ihnen unterstellten Merkmale angesehen (Fremdgruppenhomogenitätseffekt), während bei den Mitgliedern der eigenen Gruppe eine größere Varianz in den zugeschriebenen Eigenschaften gesehen wird (Eigengruppenheterogenitätseffekt).

Automatisch aktivierte Stereotype können Wahrnehmung und Verhalten beeinflussen. Kontrollierte Informationsverarbeitung kann diese Effekte modifizieren oder ersetzen, wenn Wahrnehmung oder Verhalten von hoher persönlicher Relevanz sind. Die Aktivierung von Stereotypen in der Schüler-Lehrer-Interaktion kann dazu führen, dass Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler orientiert an ihren ursprünglichen Erwartungen beurteilen (Prior-belief-Effekt), dass sich Schülerinnen und Schüler den stereotypen Erwartungen der Lehrpersonen anpassen (selbsterfüllende Prophezeiung) oder dass sie Leistungseinbußen erleiden (stereotype threat). Stereotype, Vorurteile und ausgrenzendes Verhalten in Schüler- Schüler-Interaktionen können, vermittelt über emotionale Probleme und Selbstkonzeptbeeinträchtigungen bei den betroffenen Schülerinnen und Schülern, ebenso zu Einbußen im Bildungserfolg führen.

Zur Verhinderung negativer Folgen durch Stereotype und Vorurteile und zur Schaffung einer Lernumgebung, in der alle Schülerinnen und Schüler ihr persönliches und akademisches Potenzial verwirklichen können, stehen eine Reihe von auf psychologischer Forschung basierender Interventionsstrategien zur Verfügung: Die Kontakthypothese schlägt vor, gleichberechtigte und befriedigende Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Kategorien herzustellen. Eine konkrete Unterrichtsmethode, welche die Grundgedanken der Kontakthypothese aufgreift, stellt das Gruppenpuzzle dar. Moderne Varianten der Kontakthypothese sind der erweiterte und der vorgestellte Kontakt. Bei diesen Verfahren wird auf die Realisierung eines tatsächlichen Kontaktes verzichtet: Allein das Wissen, dass ein Eigengruppenmitglied zu Fremdgruppenmitgliedern Kontakte unterhält oder aber die mentale Simulation von eigenen befriedigenden Interaktionen mit Fremdgruppenmitgliedern, sollen Vorurteile abbauen und positivere Einstellungen gegenüber der Fremdgruppe sowie den Wunsch nach Intergruppenkontakten bewirken.

 

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Kapitel 27 Heterogenität in Lehr-Lern- Kontexten

Andreas Gegenfurtner, Anita Tobisch und Ulrike E. Nett

Im vorliegenden Kapitel wurde der Begriff „Heterogenität“ im schulischen Kontext genauer beleuchtet. Dabei wurde auf die Heterogenitätsdimensionen Geschlecht, geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, Migrationshintergrund und soziale Herkunft fokussiert.

Spezifische Ausprägungen der Heterogenitätsdimensionen können sich auf lern- und leistungsrelevante Merkmale der Schülerinnen und Schüler auswirken, beeinflussen aber auch die Wahrnehmung und Beurteilung von Lehrkräften. Für einen professionellen Umgang mit Heterogenität ist es demnach zentral, dass Lehrkräfte ihre eigenen Stereotype und Einstellungen hinterfragen sowie sich möglicher Auswirkungen (z.B. Stereotype-Threat- Effekte) bewusst sind und auch ihr Lernmaterial hinsichtlich der gleichwertigen und offenen Darstellung von Heterogenität überprüfen. Ebenso ist eine professionelle Diagnostik zwingende Voraussetzung, um möglichst wenigen subjektiven und stereotypengeleiteten Urteilsverzerrungen zu unterliegen.

Den Chancen und Herausforderungen einer heterogenen Schülerschaft kann dabei insbesondere durch eine hohe Professionalität und umfassende Lehrkraftkompetenzen auf verschiedenen Ebenen begegnet werden. Daneben trägt das Arsenal an praktischen Ansätzen und Empfehlungen zur Förderung von individuellen Lernvoraussetzungen und Prozessmerkmalen der Umwelt, die in anderen Kapiteln des vorliegenden Lehrbuches dargestellt werden, zu einem effektiven Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht bei.

Abschließend ist anzumerken, dass es selbstverständlich weitere relevante Heterogenitätsdimensionen im schulischen Kontext gibt, die Auswirkungen auf das Lernen und Leisten von Schülerinnen und Schülern, aber auch auf die Wahrnehmung und Beurteilung von Lehrkräften haben können (z.B. religiöse Zugehörigkeit, sonderpädagogischer Förderbedarf oder sprachliche Fertigkeiten). Der Fokus von Lehrkräften sollte daher nicht auf den beschriebenen Heterogenitätsdimensionen, sondern auf der Individualität der Schülerinnen und Schüler liegen.

 

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VI Diagnostik, Evaluation und Forschungsmethoden

 

Kapitel 28 Grundlagen und Kriterien der Diagnostik

Matthias Schwaighofer, Moritz Heene und Markus Bühner

Psychologische Diagnostik dient der Beantwortung psychologischer Fragestellungen mittels diagnostischer Verfahren. Der zu ihrer Beantwortung notwendige diagnostische Prozess kann in Planungs-, Durchführungs- und Integrationsphase eingeteilt werden. Im Rahmen des diagnostischen Prozesses können je nach Zielstellung unterschiedliche diagnostische Strategien verfolgt werden. Hier kann differenziert werden zwischen Status- und Prozessdiagnostik, Selektions- und Modifikationsdiagnostik sowie kriteriumsorientierter, normorientierter und intraindividueller Diagnostik. Diese diagnostischen Strategien können auch kombiniert werden. Für die Gewinnung von Informationen steht eine Reihe von diagnostischen Verfahren zur Verfügung, deren Qualität mittels Haupt- und Nebengütekriterien beurteilt werden kann. Die Hauptgütekriterien sind Objektivität, Reliabilität und Validität. Eine hohe Objektivität ist die Voraussetzung für eine hohe Reliabilität, die wiederum eine Bedingung für hohe Validität psychologisch-diagnostischer Verfahren darstellt. Die in diesem Kapitel behandelten diagnostischen Verfahren sind Tests (Leistungstests, psychometrische Persönlichkeitstests und Persönlichkeitsentfaltungsverfahren), Interviews sowie Verhaltensbeobachtung und -beurteilung. Die Ergebnisse in diesen Verfahren bilden die Grundlage für diagnostische Entscheidungen, für deren Bewertung eine Berücksichtigung möglicher Fehler wichtig ist. Insbesondere im Kontext von Selektionsentscheidungen sind Basisrate und Selektionsquote neben der Kriteriumsvalidität wichtige Faktoren bei der Beurteilung des praktischen Nutzens eines Verfahrens.

 

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Kapitel 29 Messen und Bewerten von Lernergebnissen

Marc Worbach, Barbara Drechsel und Claus H. Carstensen

Für Lehrkräfte bedeutet Lernergebnisse zu messen, Messverfahren zu konstruieren, die diese möglichst objektiv, reliabel und valide erfassen können. Mit diesen Verfahren erhobene Lernergebnisse werden mit Hilfe unterschiedlicher Bezugsnormen in Beurteilungen überführt. Die Entwicklung von Verfahren erfolgt in vier Schritten: Zuerst ist das zu messende Konstrukt zu präzisieren. Anschließend werden die Items konstruiert, mit denen das Konstrukt beobachtbar werden soll. Nach der Entwicklung von Antwortkategorien und dem Kategorisieren der Antworten erfolgt die Zuordnung von Punkten zu diesen Kategorien. Dies ist der eigentliche Messvorgang, also die Zuweisung von Messwerten zu beobachteten Antworten. Im vierten Schritt wird überprüft, wie gut Schülerinnen und Schüler anhand der gewonnenen Messwerte hinsichtlich des zu messenden Konstrukts unterschieden werden können. Inhaltlich lassen sich bei teacher-made Verfahren mündliche und schriftliche Verfahren unterscheiden sowie solche, bei denen Darbietungen oder „Produkte“ Gegenstand der Messung sind. Die durch diese Verfahren gewonnenen Messwerte bilden die Grundlage für Bewertungen, die dazu dienen können, lernzielbezogene Rückmeldungen zu geben, über Lernprozesse und -ergebnisse zu informieren und zu motivieren. Dem Benoten von Lernergebnissen dienen Benotungsmodelle, die auf die gewonnenen Messwerte angewandt werden. Während in Ziffernzeugnissen Lernergebnisse als abstrakte, hoch verdichtete Information kommuniziert werden, bieten Berichtszeugnisse, Kompetenzraster und andere alternative Verfahren differenzierte Informationen zu gezeigten Verhaltensweisen und deren Übereinstimmung mit pädagogisch oder fachlich erwünschten Standards.

 

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Kapitel 30 Evaluation und Qualitätssicherung

Marko Lüftenegger, Barbara Schober und Christiane Spiel

Der Begriff „Evaluation“ ist mittlerweile ein Modewort und umfasst alltagssprachlich alle möglichen Formen und Arten von Bewertungen. In Abgrenzung dazu versteht man unter wissenschaftlicher Evaluation oder Evaluationsforschung eine wissenschaftsgestützte Untersuchung von Gegenständen (z.B. Maßnahmen, Programme) unter Berücksichtigung geltender Standards. Diese systematische Bewertung eines Evaluationsgegenstands erfolgt anhand bestimmter Evaluationskriterien (z.B. Akzeptanz, Wirksamkeit, Nachhaltigkeit) und berücksichtigt relevante Anspruchsgruppen. Die durch die Evaluation gefundenen Ergebnisse können dabei in der Praxis verschiedene Evaluationsfunktionen erfüllen (z.B. Entscheidungs- oder Optimierungsfunktion). Die Evaluationsnutzung im Sinne des aktiven Aufgreifens der Ergebnisse sollte dabei durch konkrete Maßnahmen der Evaluierenden (z.B. Abschlussbericht, Beratung, Workshops, Empfehlungen) unterstützt werden.

Verschiedene Evaluationstypen können einerseits unterschieden werden nach ihren Zielen (Baseline-Evaluation, Prospektive Evaluation, Formative Evaluation, Summative Evaluation, Impact-Evaluation), andererseits nach der Rolle der Evaluierenden (Selbst, Fremd, Intern, Extern). Einen für die (pädagogische) Praxis sehr hilfreichen Ansatz stellt das Vier-Ebenen-Modell (Kirkpatrick & Kirkpatrick, 2010) dar, anhand dessen die Erreichung der Evaluationsziele auf vier Ebenen (Reaktion, Lernen, Verhalten, Ergebnisse) beurteilt wird.

Eine Spezialform von Evaluation stellt das Bildungsmonitoring und die dazu gehörenden Schulleistungsstudien (z.B. PISA) dar. Diese treffen anhand von bestimmten Indikatoren (wie empirischen Leistungsvergleichen) Aussagen über Bildungssysteme oder Teile davon. Die Erkenntnisse daraus werden in nationalen und internationalen Bildungsberichten festgehalten.

Qualifiziert durchgeführte Evaluationen haben im Rahmen der Qualitätssicherung ein immenses Potential, dem jedoch immer noch das Image von Evaluation als bedrohendem Kontroll- und Benotungsinstrument entgegensteht. Insbesondere im Schulkontext herrscht noch eine große Skepsis über den Nutzen von Evaluationen vor. Voraussetzung zur Aktivierung des Potentials von Evaluationen ist deshalb eine evaluative Grundhaltung – also die Einstellung, dass Evaluation ein sinnvolles Element im Qualitätsmanagement ist und zu stetigen Anpassungen und Verbesserungen der eigenen Tätigkeiten führen kann.

 

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Kapitel 31 Forschungsmethoden

Martin Daumiller, Tobias Engelschalk, Marion Reindl und Markus Dresel

Viele für den Schulalltag relevante Fragestellungen lassen sich nur empirisch beantworten, d.h. mittels einer systematischen und methodisch kontrollierten Sammlung und Auswertung von Daten. Um als Lehrkraft von den vielfältigen und stets im Wandel befindlichen Erkenntnissen der Forschung im Bereich Schule profitieren zu können, sind grundlegende forschungsmethodische Kompetenzen erforderlich.

Empirische Forschung ist ein Prozess mit mehreren Schritten. Ausgehend von Praxisbeobachtungen oder theoretischen Überlegungen werden Hypothesen formuliert und überprüft. Dazu ist es nötig, auch Merkmale messbar zu machen, die sich nicht direkt beobachten lassen – dies wird möglich, indem Indikatoren des jeweiligen Konstrukts mit geeigneten Erhebungsverfahren erfasst werden. In der Psychologie stehen dazu eine Vielzahl an Verfahren zur Verfügung, wie systematische Verhaltensbeobachtung, Interviewverfahren, Fragebögen oder Tests. Die Qualität von Erhebungsverfahren lässt sich anhand von Gütekriterien beurteilen (insb. Objektivität, Reliabilität, Validität).

Für die Ableitung von Schlussfolgerungen stehen unterschiedliche Untersuchungsdesigns zur Verfügung. Experimentelle Forschungsdesigns zielen darauf ab, Ursache-Wirkungszusammenhänge aufzuklären. Bei Querschnittuntersuchungen geht es um die Analyse von Zusammenhängen zwischen Merkmalen, die alle zum gleichen Zeitpunkt erfasst werden. Dies ist unaufwendig, erlaubt jedoch keine kausalen Aussagen. Um Veränderungen und deren Bedingungen analysieren zu können, sind Längsschnittuntersuchungen nötig, bei denen die im Fokus stehenden Merkmale wiederholt gemessen werden. In Metaanalysen werden die Ergebnisse mehrerer, bereits vorliegender Studien zu einem Forschungsthema systematisch zusammengeführt.

Gewonnene Daten werden mit statistischen Methoden analysiert. Mit den Methoden der deskriptiven Statistik lassen sich die in einer Stichprobe erhobenen Daten übersichtlich und komprimiert darstellen. Lagemaße (z.B. Mittelwert) eignen sich zur Beschreibung der zentralen Tendenz der Daten. Streuungsmaße (z.B. Standardabweichung) geben Auskunft darüber, wie sich das gemessene Merkmal in der Stichprobe verteilt. Mit Hilfe der Inferenzstatistik lässt sich abschätzen, ob ein in der Stichprobe beobachteter Effekt zufällig auftritt oder die Bedingungen in der Grundgesamtheit reflektiert. Ist die Irrtumswahrscheinlichkeit, dass die Nullhypothese gilt, obwohl die Ergebnisse in der Stichprobe mit der Alternativhypothese in Einklang stehen (statistische Signifikanz), hinreichend gering (meist kleiner als 5% oder 1%), wird ein Befund als signifikant bezeichnet. Mit Hilfe von Effektstärkemaßen lässt sich die praktische Relevanz von Befunden abschätzen.

Um im Lehramtsstudium oder als Lehrkraft belastbare Informationen zu einem praktischen Phänomen zu erhalten, bietet sich die Lektüre von entsprechenden Fachartikeln an. Diese lassen sich mit Hilfe von Literaturdatenbanken auffinden. Die Kenntnis des typischen Aufbaus von Fachartikeln sowie ein strategisches Vorgehen beim Lesen ermöglicht ein leichteres Verständnis der Inhalte.

 

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VII Lern- und Verhaltensauffälligkeiten

 

Kapitel 32 Lern- und Verhaltensstörungen

Wolfgang Schneider, Wolfgang Lenhard und Peter Marx

Aus dem Überblick über zentrale Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen:

Das Phänomen der Rechenschwäche bzw. der Rechenstörung ist in neuerer Zeit verstärkt untersucht worden. Es finden sich Hinweise darauf, dass Probleme im mathematischen Kompetenzbereich schon im Vorschulalter identifiziert und über Präventionsprogramme gezielt angegangen werden können. Meist findet sich bei Vorschul-Risikokindern auch noch kurz vor Schulbeginn ein unzureichendes Verständnis der Relation zwischen Zahlen und Mengen, und Schwierigkeiten im Anfangsunterricht der Grundschule basieren vielfach auf mangelhaften Strategien im Umgang mit grundlegenden Zahlenoperationen. Da keine Automatisierung der basalen Rechenvorgänge stattfindet, wird der Abstand zu normalen Rechnern im Verlauf der Grundschulzeit immer größer. Neben einer umschriebenen Rechenschwäche finden sich häufig Komorbiditäten, also etwa die Kombination einer Rechen- und einer Lese-Rechtschreib-Störung. Es hat den Anschein, dass beide Subtypen durch unterschiedliche Probleme verursacht werden und somit auch unterschiedliche Therapiemaßnahmen für unterschiedliche Problemschwerpunkte benötigt werden. Obwohl es mittlerweile zahlreiche Nachhilfeinstitute gibt, ist die Anzahl nachweislich bewährter Fördermaßnahmen immer noch relativ überschaubar.

Lese- und Rechtschreibfähigkeiten werden in vielen Situationen benötigt, weshalb Schwierigkeiten gravierende Folgen während der Schulzeit und darüber hinaus haben können. Da die Grenze zu durchschnittlichen Leistungen fließend ist, haben Angaben zur Häufigkeit der Lese- Rechtschreib-Störung begrenzte Aussagekraft. Ziemlich sicher kann man sich als Lehrkraft aber sein, dass in fast jeder Klasse Betroffene zu finden sein werden, darunter deutlich häufiger Jungen. Die Erscheinungsformen und auch die Ursachen sind vielfältig. Für einen Großteil der Schwierigkeiten sind Defizite im sprachlichen Bereich die wichtigste Ursache. Auf der Basis einer sorgfältigen Diagnostik kann Förderung geplant werden, die direkt am Lesen und Rechtschreiben ansetzen sollte. Begleitende Maßnahmen wie ein Notenschutz zielen auf die Vermeidung von negativen Auswirkungen auf andere Schulfächer sowie auf Lernfreude und Leistungsmotivation im Sinne einer Sekundärsymptomatik.

ADHS ist ein Phänomen, das sich sehr stark auf akademische Leistungen und die Zukunftsperspektiven von Kindern auswirkt. Es ist gekennzeichnet durch Impulsivität, Unaufmerksamkeit und motorische Unruhe. Etwa 5% der Kinder sind davon betroffen, mit einem häufigeren Auftreten bei Jungen. Ursachen sind im neurobiologischen Bereich (Neurotransmittersysteme mit Bezug zu Dopamin), der Verhaltensregulation (insbesondere Frustrationstoleranz und zentral exekutive Leistungen) und der Interaktion mit Eltern und Gleichaltrigen zu sehen, bei einer starken neurobiologischen Störungsgrundlage. Als Folge ist der schulische Wissenserwerb eingeschränkt und es besteht ein Risiko für zahlreiche psychische Folgeprobleme. Das Störungsbild ist sehr stabil. Pädagogisch- psychologische Maßnahmen zielen auf die Gestaltung der Lernumwelt, die Verbesserung von Selbstregulation und Handlungskompetenz und den Einbezug des sozialen Umfelds sowie die Durchführung von Elterntrainings.

 

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Kapitel 33 Auffälligkeiten im Erleben und im Sozialverhalten

Beate Schuster

In vorliegendem Kapitel wurden sowohl internalisierende als auch externalisierende, sowohl klinisch-psychologisch als Erkrankung wahrgenommene als auch „subklinische“ Auffälligkeiten und Störungen beschrieben.

Gemeinsam ist allen, dass Beziehungsangebot, Wärme und Unterstützung durch die Lehrkraft zentrale Säulen der Prävention und Intervention darstellen. Gemeinsam ist auch allen, dass die Wahrnehmung der betroffenen Jugendlichen, von der Gesamtgruppe wertgeschätzt zu werden, zentral gefährdet ist und im Blick behalten bzw. adressiert werden muss. Dies kann die Lehrkraft durch aktive Gestaltung der Situation erreichen. Die Lehrkraft sollte sich bemühen, jedem Einzelnen Raum, Sichtbarkeit und Einfluss zu verschaffen. Sie sollte Nähe und Austausch zwischen allen und nicht nur innerhalb schon bestehender Cliquen herstellen.

Gemeinsam ist ferner allen Auffälligkeiten, dass sowohl angelehnt an Überlegungen zu Verhaltenstherapie als auch kognitiver Therapie gearbeitet werden kann, wobei sich die speziellen Inhalte der Kognitionen in Abhängigkeit von der spezifischen Störung unterscheiden, ebenso wie das konkrete Verhalten, welches verstärkt werden müsste.

Spezifisch bei Angst ist ferner wahrgenommene Kontrolle zentral, bei der sozialen Angst das Gefühl, angenommen zu sein; bei der generalisierten Angststörung dagegen sollte man die Überangepasstheit der Kinder nicht auch noch verstärken. Bei allen Angststörungen hilft man den Kindern nicht, indem man ihnen die Vermeidung erlaubt, sondern müsste sie eher in kritische Situationen bringen, in diesen ihnen aber beistehen. Bei Depression ist ferner spezifisch zu beachten, dass sie sich im Kindes- und Jugendalter noch anders äußert, und dass hier interpersonalem Stress eine Schlüsselrolle zukommt. Bei Störungen des Sozialverhaltens schließlich ist ganz zentral, dass sich die Kinder nicht als Person kritisiert sehen, dass aber ihr Verhalten nach allen Regeln der Verhaltenstherapie zu modifizieren versucht wird, indem man sensibler für angemessenes Verhalten wird und dies dann auch sofort anerkennt.

 

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Kapitel 34 Pädagogische Prävention und Intervention bei psychischen Auffälligkeiten im Schulalter

Armin Castello

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Bundesrepublik Deutschland der schulischen Inklusion verpflichtet. Hierdurch soll allen Schülerinnen und Schülern der Besuch der allgemeinen Schule und gleichzeitig eine individuelle Förderung ermöglicht werden. Psychische Auffälligkeiten sollten daher aufgrund ihrer hohen Prävalenz, ihrer weitreichenden Ausstrahlung auch in schulrelevante Bereiche wie z.B. die Schulleistungen und das soziale Verhalten und angesichts einer bis dato ungenügenden psychotherapeutischen Versorgungssituation in der Lehrkräftebildung eine erheblich größere Aufmerksamkeit erfahren.

Psychologisches Wissen und pädagogische Kompetenzen hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten sind daher ein wichtiges Handwerkszeug für die pädagogische Arbeit an Schulen. Hierzu gehören Kenntnisse zu den Merkmalen psychischer Auffälligkeiten, ihren Entstehungsbedingungen, wirksamen Risiko- und Schutzfaktoren, sowie Kompetenzen in der Anwendung von pädagogischen Präventions- und Interventionsmethoden. Eine Auswahl hierzu wurde in diesem Kapitel zu den Themen Soziale Ängstlichkeit, Depressivität, Selbstverletzendes Verhalten, Posttraumatische Belastungsreaktionen und Schlafauffälligkeiten zusammengefasst dargestellt. Eine Reihe evidenzbasierter Präventionsprogramme zu psychischen Auffälligkeiten, deren Umsetzung den Verlauf abmildern kann, liegen mittlerweile in einer „schulkompatiblen“ Form vor – einige davon wurden hier kurz skizziert. Wichtig sind aber auch praxisnahe Kompetenzen in der Modifikation des Unterrichts vor dem Hintergrund psychischer Belastungen von Lernenden, in Form von zusätzlichen Hilfen in der Bewältigung der sozialen, emotionalen und kognitiven Anforderungen des schulischen Alltags. Vielfach erweist sich die frühe pädagogische Unterstützung z.B. im Umgang mit dysfunktionalen Gedanken, Problemen in der Emotionsregulation oder bei bereits vorhandenem Vermeidungsverhalten von Schülerinnen oder Schülern als Chance für die Stärkung der psychischen Gesundheit.

Der Arbeit mit betroffenen Familien kommt eine besondere Bedeutung zu; gerade die professionelle Psychoedukation von Eltern ist eine wirksame Unterstützung in der Bewältigung schulischer Krisensituationen, fördert die Bereitschaft zur Inanspruchnahme externer psychotherapeutischer Hilfe und schafft Erleichterung im familiären Alltag.

 

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